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Das Kreuz mit der Revolution: Fidel scheut Weihwasser nicht

In drei Wochen erlebt Kuba nach jahrzehntelanger Vorbereitung endlich wieder ein revolutionäres Ereignis: Der Pontifex maximus der katholischen Kirche, Papst Johannes Paul II., besucht den máximo lider Fidel Castro. Die Annäherung der Patriarchen hat viele Gründe – die jeweiligen Gefolgschaften sehen das dennoch mit gemischten Gefühlen  ■ Von Christoph Anders

„Nuestras verdades levantan muros“ („Unsere Wahrheiten errichten Mauern“) – ein riesiges Graffito prangt an der Straße nach Sancti Spiritus. Kein Spruch aus der Sammlung der Che-Guevara- Weisheiten, die in diesen Wochen Kubas Bevölkerung beglücken sollen. Seine Enkel haben die farbenstrahlende Botschaft an die Wände gesprüht. Die kommunistische Jugend Kubas meldet sich zu Wort, trotzig-selbstbewußt antwortet sie auf den Fall der Mauer in Deutschland und eine weltpolitische Zäsur, die für die Zuckerinsel nicht ohne Folgen blieb.

Die „Mauern der Wahrheit“ sollen das Erreichte und Bedrohte schützen, vieles wird dafür in Kauf genommen. Nicht nur die kommunistische Jugend hat sich hinter einer Wagenburg-Mentalität verschanzt. Wer nicht mitmacht, unterzieht sich dem Verdacht kubafeindlicher, subversiver Tätigkeit. Dafür oder dagegen heißt die Devise, ein Drittes gibt es nicht. Insbesondere eine bedingungslose Solidarität mit Kuba erfährt hohes Lob, Durchhalteparolen sind angezeigt und das Vertrauen in die Führungskraft der Partei.

Weil die befreiende Kraft der „eigenen Wahrheiten“ in Kuba angeblich bereits gewirkt hat, gehören Kritiker ins Lager der Mauerbohrer. Hier ortet die Parteiführung auch einige regierungsunabhängige Organisationen, die sich aufgrund allzu weitreichender Reformvorschläge ihren Zorn zugezogen haben. Besonders, wenn von zivilgesellschaftlichen Strukturen die Rede ist, gehen die ideologischen Warnleuchten an.

Zu den kritisch beobachteten Gruppen gehören auch die Kirchen, wegen ihrer dissidenten Sicht von Welt, Mensch und Gott, ihres rasanten Wachstums und der breitgefächerten internationalen Kontakte. Insofern besucht der Papst in drei Wochen die Karibikinsel in einer innen- wie außenpolitisch äußerst angespannten Atmosphäre. Kuba ist das einzige mehrheitlich katholisch geprägte – und gebliebene – Land der Welt, dem Johannes Paul II. noch nicht seine Aufwartung gemacht hat.

Seit über zwanzig Jahren reden Rom und Havanna über einen Papstbesuch auf Kuba. In Havanna werden nicht nur zwei weltweit bekannte alternde Patriarchen zusammentreffen, die von der Richtigkeit der eigenen Positionen tief überzeugt sind. Hier geht es um mehr.

Kubas politische Führung wird durch den Besuch aufgewertet, ist doch der Papst ein weltweit geachteter Staatsmann. Sein Kommen wird zudem als Signal der weitgehenden Normalisierung im Verhältnis von Staat und katholischer Kirche angesehen. Denn das ist seit der Revolution 1959 mindestens delikat zu nennen. Manch gegenseitige Verletzungen harren bis heute ihrer Aufarbeitung.

Der Papst ist für Fidel Castros Regierung ein politischer Bundesgenosse. Schließlich hat er die Blockadepolitik gegenüber Kuba stets verurteilt, sehr zur Freude all jener, die darin weiterhin die Wurzel allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Übels im Lande sehen. Auch die päpstliche Kritik an den Auswirkungen eines „wilden Kapitalismus“ wird gern gehört. Sie dient als Unterstützung für die unablässigen Warnungen des kubanischen Staates vor den Übernahmegelüsten der seit nunmehr 40 Jahren mit den Hufen scharrenden radikalen Exilkubaner in den USA.

Aber gleichzeitig ist der Heilige Vater ein unbequemer Besucher: ein erzkonservativer Antikommunist, in dem viele einen der Totengräber der realsozialistischen Gesellschaften Osteuropas sehen. Seine unerbittliche Ablehnung der Abtreibung und anderer Formen der Empfängnisverhütung passen ebensowenig in die kubanische Praxis wie sein traditionelles Familienbild. Schließlich ist der Besuch auch eine Frage des Ansehens: Wie viele Divisionen mobilisiert der Papst für seine Veranstaltungen auf Kuba? Immerhin waren Aufmärsche und Versammlungen bislang exklusive Domäne von Partei und Massenorganisationen. Wie nun, wenn es dem Papst in Havanna ausgerechnet auf dem „Platz der Revolution“ gelänge, Hunderttausende zusammenzubringen? Wie nun, wenn bei kritischen Äußerungen des Papstes Beifall aufbrandet? Welche Parolen bekommen die zirka 1.000 Journalisten zu hören, welche Transparente vor die Kamera? Was schließlich, wenn das Konterfei des Papstes tausendfach durch die Straßen getragen und ein Meer nicht roter oder schwarz-roter sondern gelb-weißer Vatikan-Fahnen wehen wird? Und dies zu Füßen des riesigen Denkmals für den harsch antiklerikalen Nationalhelden José Marti?

Das Regime hat vorgebaut. „Der Papst ist willkommen, und er wird auch willkommen geheißen“ steht auf Plakaten zu lesen. Das ist, von Staats wegen propagiert, fast schon ein Befehl. Die Plakate zeigen Johannes Paul II. beim Händedruck mit Fidel Castro bei dessen Besuch in Rom. So können Menschenmassen beliebig gedeutet werden.

Kubas katholische Kirche erwartet ein Freudenfest. Seit jeher bekannt für die Treue gegenüber dem Vatikan, kann sie nun endlich im eigenen Land den Dank ausdrücken für jahrzehntelange Unterstützung durch Rom. Denn ohne diese wäre es ihr wohl kaum möglich gewesen, aus der völlig verfahrenen Situation der 60er und 70er Jahre wieder herauszukommen. Ohne Beistand der Päpste hätte sie nicht zu Wegen gefunden, sich in einem bleibend ungeliebten Gesellschaftssystem einzurichten und dennoch die Fähigkeit nicht zu verlieren, Probleme offen anzusprechen.

In den besuchsvorbereitenden Verhandlungen mit der Regierung hat die Kirche nun die lange Liste ihrer Forderungen mit neuer Gewichtigkeit vorgetragen: Ende aller Benachteiligungen im öffentlichen Leben, Zugang zu Massenmedien, Druck und Verbreitung kirchlicher Schriften – um nur einige zu nennen. Und es hat sich gezeigt, daß die Führung gewillt ist, auf einige dieser Forderungen einzugehen. So wurde im Sommer erstmalig seit 1960 eine Messe unter freiem Himmel auf dem Platz vor der Kathedrale in Havanna nicht nur zugelassen, sondern auch infrastrukturell unterstützt. Und das vergangene Weihnachtsfest wurde zum erstenmal seit 28 Jahren wieder zum offiziellen Feiertag erklärt.

Päpstlichen Beistand wünscht sich die Kirche in einem weiteren Konflikt: In ihren jüngsten Erklärungen macht sie als zentrales Problem Kubas keineswegs die äußere Blockade, sondern die tiefe Spaltung des Volkes aufgrund der allgegenwärtigen idedologischen Beeinflussung aus. Ist schon die Analyse für den Staat provozierend, so zieht der damit einhergehende Anspruch der Kirche, als Instanz der nationalen Versöhnung operieren zu wollen, die Kritik der Führung auf sich. Dies um so mehr, weil darin die schwer erträgliche Vorstellung einer „kubanischen Familie“ entwickelt wird, die ausdrücklich auch die Exilkubaner dazu einlädt, sich am Dialog über die Zukunft des Landes zu beteiligen.

Wenn nun der Papst während seines Aufenthaltes in der ostkubanischen Stadt Santiago de Cuba der Nationalheiligen Kubas, der „Madonna der Nächstenliebe von El Cobre“, neue Weihen zukommen lassen wird, dann bedeutet dies auch die weithin sichtbare Unterstützung dieses umstrittenen Anspruchs der katholischen Kirche. Dabei geht es um einiges, denn erklärtermaßen ist die kubanische Führung durch das rapide Wachstum der Kirchen insgesamt beunruhigt.

Die protestantischen Kirchen sind zersplittert, ihre Führung besitzt nur begrenzte Autorität zu Verlautbarungen über politische Fragen, entscheidend ist die Autonomie der Gemeinden. Demgegenüber bietet die katholische Kirche eine gefestigte Struktur mit einer klar erkennbaren Hierarchie. Bei Kardinal Ortegas Erklärungen kann die politische Führung von einer innerepiskopalen Vorabstimmung ebenso ausgehen wie von einer Akzeptanz durch die Basis – ein für KP-Funktionäre vertrauter Mechanismus. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Partei und Regierung für die kommenden schwierigen Jahre die katholische Kirche als kritischen, aber verläßlichen Partner benötigen. Gegenwärtig sind Signale zu vernehmen, daß die Kirche unter bestimmten Bedingungen bereit ist, eine solche Rolle zu übernehmen – der Papstbesuch wird zeigen, wie weit es damit ist.

Gemischt sind angesichts dieser Konstellation die Gefühle der Protestanten. Auch sie unterstreichen nach außen, wie normal dieser Besuch doch sei – aber hinter den Kulissen sieht es anders aus. Mißtrauisch werden die Ansprüche der katholischen Kirche beäugt, als Versöhnungsinstanz einer gespaltenen Nation auftreten zu wollen und ein stets katholisch gebliebenes Volk zu repräsentieren. Unzufrieden reagieren die evangelischen Kirchenführer darauf, daß in der Berichterstattung über kirchliches Leben in Kuba von Protestanten kaum die Rede ist.

Verwundert registrieren die Protestanten die Annäherung zwischen Staat und katholischer Kirche trotz deren bleibend kritischer Haltung. Hatten doch gerade die Protestanten in den letzten Jahren häufig an die internationale ökumenische Solidarität mit der bedrängten kubanischen Führung appelliert – und einiges in Bewegung gesetzt. Bei allem Unverständnis sehen allerdings auch die Protestanten, daß mit dem Papstbesuch die Debatte über Religion in Kuba insgesamt in Gang kommt. Das ist keineswegs selbstverständlich – und kommt allen Kirchen zugute.

Und noch etwas verbindet Protestanten und Katholiken: Beide hoffen infolge des Papstbesuchs auf eine nachhaltige Verbesserung des Verhältnisses zwischen den USA und Kuba. Der von beiden Seiten genehmigte Besuch einer Delegation von über 1.000 US- amerikanischen Brüdern und Schwestern bringt bereits eine Aufhebung der äußerst restriktiven Blockade-Gesetzgebung mit sich. Ein Vorgang, der bei den Hardlinern innerhalb der kubanischen Exilgemeinde den ohnehin vorhandenen Grimm gegen den als politisch falsch eingeschätzten Papstbesuch weiter verstärkt.

Wo sich ansonsten unverändert harte Positionen gegenüberstehen, bietet der Besuch Johannes Paul II. beiden Seiten die Gelegenheit, Signale des Entgegenkommens in strittigen Fragen gleichsam indirekt und ohne Gesichtsverlust geben zu können – die Vorabinszenierung einer politischen Annäherung auf der Probebühne.

Bleibt zu hoffen, daß die gesundheitliche Verfassung des Papstes ihn in die Lage versetzt, all den Herausforderungen angemessen begegnen zu können.

Den kirchlichen und den politischen Akteuren in Kuba ist zu wünschen, daß die einmalige Chance des päpstlichen Aufenthaltes mutig genutzt wird. Nicht zur Festigung eigener Positionen, sondern zur Beendigung der vielfachen Grabenkämpfe. Ob katholisch, protestantisch, afrokubanisch, atheistisch oder von allem ein wenig – die Bevölkerung Kubas hätte davon den größten Vorteil.

Pfarrer Christoph Anders ist Referent für Kuba im Berliner Missionswerk

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