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Der Trend zur Protz-Adresse

Wohnen in der Hauptstadt 1998: Luxus-Lagen für Reiche und Besucher. Der Berliner ist bescheidener und liebt den Kiez – aber bitte schön mit gefliestem Badezimmer, Fahrstuhl und Einbauküche. Ein Rundumschlag  ■ Von Kirsten Niemann

Eine kleine Wohnung im Hinterhaus, das hier in Berlin gern mal irreführend als „Gartenhaus“ bezeichnet wird. Das eigene Badezimmer fehlt, dafür befindet sich das Außenklo eine halbe Treppe höher und muß mit dem Nachbarn geteilt werden. Die Wasserleitungen frieren im Winter schnell mal zu. Fast tägliches Kohlenschleppen hält zwar den Kreislauf in Schwung, doch mit den altmodischen Öfen kommt zunächst kaum ein Neuberliner zurecht. Wer kennt das nicht?

Unter Studenten galt das Wohnen in Berlin vor dem Mauerfall vielleicht noch als romantisch. Doch bei normalen einkommensschwachen Mietern war es eine Katastrophe. Und obendrein gab es solche Behausungen in jedem Kiez der Stadt; ob im multikulturellen Kreuzberg oder im feineren Charlottenburg. Doch bei aller Komfortlosigkeit garantierten sie zumindest eines: Sie waren billig.

„In Kreuzberg gibt es diese Bruchbuden sogar heute noch“, erklärt Andreas Haagen vom Hausverwalterausschuß des Berliner Ring Deutscher Makler (RDM), „doch seit dem Mauerfall kriegt man die selbst für lumpige 150 Mark Monatsmiete nicht mehr los!“ Aber nicht nur unsanierte Einzimmer-Altbauwohnungen bleiben leer und warten auf die Zusammenlegung mit der Nachbarwohnung. „Mit den übertriebenen Mietvorstellungen der Hausbesitzer ist auch die Anspruchshaltung der Mieter gestiegen.“ Denn: „Einbauküche, gefliestes Bad und Zentralheizung – was vor ein paar Jahren noch als gehobene Ausstattung durchgehen konnte, ist heute längst Standard.“

Wer heute in einen sanierten Altbau zieht, der wünscht sich nicht nur die pure Anwesenheit von Zentralheizung und Badezimmer, sondern nach Möglichkeit auch die netten kleinen Dinge, die die eigenen vier Wände zum Schmuckkästchen machen: Stuck an der Decke, großzügige Flügeltüren, abgezogene Dielenböden oder wenigstens einen Parkettboden mit pflegeleichten Schiffsbohlen. Für eine in den 80er Jahren sanierte Altbauwohnung mit dunklem Berliner Zimmer und den graubraunen Einheitskacheln in Bad und Küche kann man heute dagegen lange nach einem Nachmieter suchen.

Auch eine andere Modeerscheinung der Wendejahre erwies sich glatt als Flop: Die zwar leidenschaftlich, aber zweifellos oft schlampig ausgebauten Dachgeschoßwohnungen der Wende ließen sich in den Zeiten der Wohnungsnot sogar für 30 Mark Kaltmiete pro Quadratmeter losschlagen. Haagen: „Nicht etwa nur am Ku'damm, sondern selbst in Lichterfelde gingen die für den Preis problemlos weg!“ Heute will sie nicht einmal einer für den halben Preis mieten. Der Grund: „Mangelnder Komfort.“ Größtes Manko: fehlende Fahrstühle und mickrige Dachterrassen, die bestenfalls als Balkon durchgehen.

Vor drei Jahren hätte sich wohl niemand über geschummelten Luxus beschwert. Heute gibt es offensichtlich noch ganz andere Bedürfnisse: Angesteckt von der Hauptstadteuphorie keimt in so manch einem Industriellen der Wunsch, auf seiner Visitenkarte eine Luxusadresse angeben zu können. Die Tinte auf dem Reißbrett war angeblich noch nicht getrocknet, als die als Edelwohnungen konzipierten Appartements in der neuen City bereits für horrende Summen ihren Besitzer wechselten. „Diese sogenannten Luxus-Appartements verfügen zwar grundsätzlich über Einbauküchen mit Mikrowellen, haben eigene Parkplätze in Tiefgaragen und Gegensprechanlagen“, erklärt Haagen, „doch Luxus würde ich das noch lange nicht nennen.“ Hier blendet vor allem schieres Design. Und was diese Wohnungen so teuer macht, sei vor allem die Lage. Der Dunstkreis des Brandenburger Tores bestimmt den Preis: Unter den Linden, an der Friedrichstraße, am Platz der Akademie oder am Pariser Platz berappt man eine Kalt-Monatsmiete von 50 Mark pro Quadratmeter. Die Wohnungen sind verkauft, die Vermietung gestaltet sich hingegen noch schleppend. „Ein Trauerspiel“, weiß Haagen. Denn 1991, als die Planungen fortschritten, da habe es quasi jedem, der Vermögen hat, „in den Fingern gezuckt. Da wollte jeder am liebsten sofort einsteigen.“ Jetzt hofft man auf das Jahr 1998.

Dabei sind es kaum Privatpersonen, die sich das Brandenburger Tor als Kulisse für ihr Zwei-Raum- Appartement leisten. Meist sind es Firmen, die sich für den Berlin-Besuch eines leitenden Angestellten lieber eine Protz-Anschrift sichern, als ihn im Hilton unterzubringen. Denn teurer ist das am Ende auch nicht. Jessica Staiger, Projektleiterin der Deutschen Grundbesitz Management GmbH, die eine der Immobilien am Pariser Platz verwaltet, wahrt über die Mieter der Nobelwohnungen absolutes Stillschweigen. Denn der Berliner Markt sei schließlich empfindlich und schwer kalkulierbar. „Selbst nach einer Zusage springen potentielle Mieter immer noch ab.“

Der normalverdienende Berliner wohnt dagegen am liebsten in einem Kiez, der wohlhabende in einem der Bezirke, die auch vor der Wende schon als die besseren galten. „Richtige Prachtwohnungen“, soviel weiß RDM-Mitglied Haagen, „die gibt es nach wie vor im Grunewald. Dort haben die Häuser entsprechenden Komfort.“ Nämlich: „Eine Alarmanlage mit Bewegungsmelder und eine Terrasse aus Terrakotta.“ Luxuriöses Wohnen heißt hier, seine Rosen selbst zu beschneiden, statt den Blick unverbindlich über die gezirkelten Blumenrabatten im öffentlichen Tiergarten schweifen zu lassen.

Tatsächlich ist seit dem Mauerfall eine gewisse Landflucht der Berliner zu beobachten. Zuerst wurden lediglich riesige Felder für Einkaufszentren am Stadtrand planiert. Nicht unweit davon schmiegen sich mittlerweile auch lachsfarbene, pastellgrüne oder blütenweiße Wohnsiedlungen in die märkische Landschaft. Manche haben sogar eine fast ansprechende Architekur, doch sie symbolisieren eine Spießeridylle, wie sie in den USA, wo Siedlungen dieser Art ihren Ursprung haben, kaum prächtiger sein könnten. „Wohnparks“, „Stadtvillen“ und „Gartenstädte“ nennen sich diese Anlagen euphemistisch, für die derzeit hauptsächlich Jungfamilien schwärmen. Ein paar Dutzend Reihenhäuser, Doppelhaushälften oder auch freistehende Mehrfamilienhäuser bieten laut Werbebroschüren „Plätze für Individualisten“, „Idyllisches Wohnen am Stadtrand“, „bezahlbares königliches Wohnen“ mit „nachbarschaftlicher Atmosphäre“. Kindergarten, Grundschule in Fußwegnähe – an alles ist gedacht. „Nur 25 Minuten mit der S-Bahn bis zum Alexanderplatz und 2 Stunden bis zur Ostsee“ – so preist man die Vorzüge der Wohnpark- Siedlung „Friedenstal“ in Bernau. Was für den Stadtflüchtling verlockend klingt, lehrt den wahren Großstadtindividualisten hingegen das Gruseln. Der Fachmann ahnt es schon: „In ein paar Jahren kommen die alle wieder zurück!“

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