: Eine Legende mit sprödem, muffigem Charme
■ 1935 als größte Halle Europas gebaut, erlebte die Deutschlandhalle Bombennächte, Spektakel und Konzerte, die die Grundmauern erschütterten. Nach 62 Jahren kam jetzt das Aus.
Die Erfahrung, daß Politiker ein schon sprichwörtlich schlechtes Gedächtnis haben, wenn ihnen die Dinge von einst heute nicht mehr in den Kram passen, hat auch die Deutschlandhalle machen müssen. Tönte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen 1985 noch damit, daß „Berlin ohne Deutschlandhalle genausowenig vorstellbar wäre, wie Paris ohne Eiffelturm“, sind seine Worte jetzt Schnee von gestern. Ja mehr noch. Diepgen würde die Halle lieber heute als morgen abreißen lassen, damit die Restposten der Olympiabewerbung – die Velohalle und die Max-Schmeling-Halle – so richtig zum Tragen kommen.
Den Berlinern fehlt es nun, nach der Schließung des legendären Sportpalastes, an der zweiten und letzten Sport- und Vergnügungsstätte, die vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden war. Ein Stück Geschichte wird damit aufgegeben.
Die Deutschlandhalle an der Avus war 1935 von den Nazis in acht Monaten aus dem Boden gestampft worden. Mit 140 mal 160 Metern Fläche und knapp 30 Metern Höhe konzipierte man sie als Halle für Großveranstaltungen, in der Sport-, Musik-, Revue- sowie politische Auftritte stattfinden sollten. Eröffnet wurde sie mit dem weltweit ersten Hallenreitturnier 1935. 1936 kämpften dort die Boxer, Fechter und Ringer um olympische Medaillen. Einen ersten Höhepunkt erlebten die Zuschauer in der größten Halle Europas 1938, als Hanna Reitsch mit einem Hubschrauber zum ersten Hallenflug durch den Raum dröhnte. Leise wurde es 1940, als bei einem Hochseilakt der Stahlmast brach und die Artistin Camilla Mayer zu Tode stürzte. Ein weiteres Todes-Spektakel schockte die Halle 1943: Bei der Revue „Menschen, Tiere, Sensationen“, fielen Bomben auf das Gebäude und zerstörten es bis auf die Grundmauern.
Während der Senat beim Wiederaufbau der Halle auf die charakteristischen Nazi-Zutaten bei der Architektur verzichtete und den Bau mit einer schlichten lamellenartigen Fassade verkleidete, setzte man beim Programm auf Kontinuität. Denn wiedereröffnet wurde die über 100 Meter lange und 84 Meter breite Halle 1957 mit „Menschen, Tiere, Sensationen“. Es folgten das Reitturnier und die Auftritte von Artisten. Boxpremiere hatte die Halle im gleichen Jahr. 14.000 Zuschauer fieberten mit, als sich „Bubi“ Scholz und der US-Amerikaner Martinez die Nasen blutig schlugen.
Mit Ella Fitzgerald, die 1960 bei ihrem berühmten Konzert den Text vergaß, startete die Halle ihr Showdasein. Es wurde gejazzt, gerockt und gekifft. Daß die Halle robust gebaut war, konnte man daran erkennen, daß sie nicht nur die Auftritte von Udo Jürgens überlebte, sondern ebenso die der Rolling Stones und anderer Popstars.
Voll war die Halle mit dem spröden, muffigen Charme und den harten Sitzen meistens. Das Management holte dorthin nicht nur die Stars aus dem Showbizz und der Opern- und Rockwelt, von „Holiday on Ice“ oder dem Boxmilieu bei WM-Kämpfen in den 80er und 90er Jahren. Die Halle wurde ebenso vermietet für die Funkausstellungen, die Steher- und Sechs- Tage-Rennen, für Hallenfußballturniere, Kongresse und Messen. Wegen Baufälligkeit oder mangelnder Rentabilität wurde sie nicht geschlossen, sondern, um den „Markt zu bereinigen“, wie die Geschäftsleitung richtig mutmaßt. Sie schließt, wie sie eröffnet wurde: mit „Menschen, Tiere, Sensationen“ – oder besser, wie die FAZ feststellte, mit „Menschen, Tiere, Spekulationen“. Rolf Lautenschläger
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