piwik no script img

Der letzte Vorhang ist gefallen

■ Silvester gingen in der Deutschlandhalle für immer die Lichter aus. Bei der letzten Vorstellung machte sich Wehmut unter den Mitarbeitern und Zuschauern breit. Viele Konzerte werden in Zukunft ausfallen

Die Stimme aus der Dunkelheit hätte nicht vorwurfsvoller klingen können: „Ich begrüße Sie heute zum letzten Mal bei ,Menschen, Tiere, Sensationen‘ in der Deutschlandhalle.“ Ein deutlicher Hinweis auf die nahende Schließung der letzten Vorkriegshalle und die darauffolgende demonstrative Stille tun ihr übriges: Ein Pfeifkonzert aus den Zuschauerreihen macht deutlich, auf wie viel Unverständnis die Stillegung stößt.

So ist die letzte Vorstellung von „Menschen, Tiere, Sensationen“ am Silvesterabend auch die letzte Vorstellung in der Deutschlandhalle überhaupt. Symbolisch wirkungsvoll beendet also die Show die Deutschlandhallen-Ära, die sie 1957 nach dem Wiederaufbau auch eingeleitet hatte. Grund genug, vor dem Manegenspektakel in einer Diashow kurz und schmerzvoll die letzten 62 Jahre noch einmal Revue passieren zu lassen. Zum letzten Mal wird „mit Stolz auf 47 Jahre ,Menschen, Tiere, Sensationen‘“ zurückgeblickt, bevor die eigentliche Vorstellung beginnt.

Schmerzvoll ist der Abschied auch für die rund 35 Mitarbeiter der Deutschlandhalle, die teilweise schon viele Jahre dort arbeiten. Sie werden zwar ausnahmslos von der Messe Berlin GmbH übernommen, doch wird der neue Arbeitsbereich für viele wohl wesentlich unspektakulärer ausfallen.

Projektleiterin Uschi Ottersberg wird nach der Räumung ihres Schreibtisches in der Deutschlandhalle nunmehr als Verkaufsleiterin bei der Messe Berlin GmbH ins ICC ziehen. Dort erwartet sie ein ganz anderer Job, der wohl kaum an den Unterhaltungsgrad ihrer alten Arbeitsstätte reichen kann. „Das hier ist nunmal ein irres Busineß“, erklärt sie gedankenverloren und schüttelt den Kopf. Wehmütig beobachtet sie einen Akrobaten, der vor der Vorstellung ein letztes Mal am Trapez hin- und herschwingt.

Nun wiegen sich also zum letzten mal die Elefanten im Walzertakt, bald wird es auch keine kleinen Chinesinnen mehr geben, die mit ihren Tellern jonglieren. Mit der Deutschlandhalle gehört auch „Menschen, Tiere, Sensationen“ der Vergangenheit an. Die Deutschlandhalle ist der Veranstalter dieses Spektakels und wird dieses nun in keiner der beiden Alternativhallen mehr zur Schau stellen, die Berlin nun zu bieten hat. Die Kapazitäten für den „größten europäischen Hallenzirkus“ wären sowieso weder im Velodrom noch in der Max-Schmeling-Halle vorhanden.

Auch der Eisverkäufer Andy Krügerke wird ganz wehmütig, wenn er an die Schließung denkt. Für ihn hängen an der alten Halle schließlich auch Kindheitserinnerungen. Als vierjähriger Knirps war er das erste mal bei einer Polizeishow und seit zwei Jahren ist er nun mit seinem Eiswagen bei fast jeder Show dabei. „Es herrscht hier einfach eine tolle Atmosphäre“, erklärt er. „Hier kennt jeder jeden, vom Geschäftsführer bis zur Reinigungskraft. Jeder wird gegrüßt.“

Besonders tragisch ist für ihn das jähe Ende der Deutschlandhalle, angesichts dessen, „was sie schon durchgemacht hat“. Nach der Zerbombung im Jahr 1943 sei sie unter schwierigen Umständen wieder aufgebaut worden. „Und jetzt scheitert es an dem fehlenden Hallennutzungskonzept des Senates“, beschwert er sich.

Bereits beim Einlaß macht sich unter den Zuschauern neben der freudigen Erwartung über die kommende Show auch Mißmut über die Schließung breit. Für einige hat die „offensichtliche Fehlplanung des Senates“ auch ganz praktische Probleme: „Ich werde nach der Schließung der Deutschlandhalle ganz bestimmt keine Veranstaltung mehr besuchen können“, meint ein Zuschauer aus Kladow traurig, während er auf den Anfang der Vorstellung wartet. „Die anderen Hallen sind einfach viel zu weit weg.“ Bei der heutigen Verkehrssituation müßte er für eine Veranstaltung, die um 19 Uhr anfängt, bereits um 16 Uhr losfahren. „Das ist einfach nicht drin.“

Mit diesem Problem steht er nicht allein. „Die Regionalverteilung stimmt einfach nicht mehr“, meint auch eine Zuschauerin aus Gatow. „Da wird wohl für uns die eine oder andere Veranstaltung in Zukunft ausfallen müssen.“

Die Nachteile der Schließung sind immens, deswegen will sie eigentlich auch niemand so richtig wahrhaben. „Wir glauben das alles noch gar nicht richtig“, erklärt eine Mitarbeiterin vom Ordnungsdienst. „Es gibt doch einfach nichts Vergleichbares“, stellt sie resigniert mit Seitenblick auf die beiden Neuanschaffungen Berlins fest. „Ich weiß gar nicht, wie die im Velodrom die Konzerte auf die Bühne bringen wollen, die hier gelaufen sind“, meint sie.

Ihr Kollege sieht die Zukunft der Deutschlandhalle angesichts der Alternativen optimistischer: „In ein oder zwei Jahren wird die Deutschlandhalle doch sowieso wieder geöffnet“, schaltet er sich ein. „Es wird sich schon jemand finden, der Geld für eine Sanierung lockermacht.“

Als die letzten Akrobaten nach zweieinhalb Stunden die Manege verlassen, wird es jedoch trotz Zweckoptimismus erst einmal dunkel in der Halle. Die Akrobaten und Mitarbeiter verabschieden sich von den Zuschauern, und die Luftballons fliegen durch die Luft.

Nachdem die letzten Gäste gegangen sind, und die Deutschlandhalle so dunkel und verlassen aussieht, wie sie fortan wohl immer sein wird, sitzt ein älterer Herr noch gedankenverloren auf seinem Klappstuhl und schüttelt den Kopf. „Die Deutschlandhalle wird ihm sehr fehlen“, erklärt seine Frau. „Es ist wirklich ein Jammer.“ Corinna Budras

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen