: Ohne Spucktest kein Familiennachzug
■ Innensenator verlangt für Familienzusammenführung von nordirakischen Kurden DNA-Test, wenn Geburtspapiere unvollständig sind. Verfahren kompliziert, teuer und nicht ausgereift. SPD: "Gespenstische Kontr
Spucken, um nach Deutschland kommen zu dürfen: Ehemalige Asylbewerber, denen bereits Asyl gewährt worden ist und Flüchtlingen mit Aufenthaltsbefugnis aus dem Nordirak, die ihre Kinder nach Berlin holen wollen, müssen zukünftig einen Speicheltest machen.
Nach Angaben von Isabelle Kalbitzer, Sprecherin von Innensenator Schönbohm (CDU), handle es sich hierbei um eine Empfehlung der Bundesinnenministerkonferenz vom vergangenen Jahr, die jetzt in der Hauptstadt umgesetzt werde. Der Test sei aber freiwillig, betonte sie: „Es ist ein Angebot an die Flüchtlinge, um eindeutig zu beweisen, daß es sich tatsächlich um die eigenen Kinder handelt, wenn keine gesicherte Geburtsurkunde vorliegt.“ Doch, und das ist entscheidend: Willigen die Eltern dann nicht ein, so Kalbitzer, gibt es keine andere Möglichkeit mehr, die Kinder mit den Eltern zusammenzuführen.
Insbesondere für Kurden aus dem Nordirak ist es schwer, die Familienzugehörigkeit ihrer Kinder nachzuweisen, da die Geflüchteten oft ihre Papiere nicht vollständig mitnehmen konnten oder gar keine Geburtsurkunden besitzen und die Kinder oft „nur“ im Paß eingetragen sind. Andere Personengruppen sind laut Innenverwaltung von dem DNA-Test derzeit nicht betroffen.
Das neue Verfahren ist kompliziert und überhaupt nicht ausgereift: Die Flüchtlinge müssen in ihrem Heimatland auf einen Wattebausch spucken. In einem Labor des Instituts für Rechtsmedizin der Uni Münster wird der Speichel mit Hilfe der DNA-Analyse untersucht. Die Spucke des Kindes soll per Post nach Deutschland geschickt und hier mit dem elterlichen Speichel auf Blutsverwandtschaft verglichen werden. Und: Die Eltern müssen pro Speichelprobe 230 Mark zahlen und eine Privatkontonummer angeben. „Wie das in der Praxis gemacht werden soll, ist völlig unklar“, kritisiert die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) die Prozedur. Bisher wurden die Kinder von Verwandten oder den Eltern mit speziellen Bescheinigungen entweder in Ankara oder an der irakischen Grenze abgeholt – schon dieses Verfahren ist sehr aufwendig. John hat Schönbohm bereits vor einem Vierteljahr um eine Stellungnahme gebeten, bisher aber keine Antwort erhalten.
Das neue Verfahren führt anscheinend dazu, daß die Ausländerbehörde akute Fälle derzeit liegenläßt: Nach Angaben von John sei seit drei Monaten keine Familie mehr zusammengeführt worden. „Das fördert nicht unbedingt die Integration“, bemängelt sie. Viele IrakerInnen, die bei der Ausländerbeauftragten in die Sprechstunde kämen, seien wegen der schlepppenden Bearbeitung sehr verunsichert.
Laut Kalbitzer ist bereits zwei Familien das neue Verfahren angetragen worden. Ingesamt gebe es rund 25 überwiegend kurdische Familien aus dem Nordirak, die ihre Kinder im Rahmen der Familienzusammenführung nachholen lassen wollten.
Kritik an Schöhnbohms Vorstoß übt auch der bündnisgrüne Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Wolfgang Wieland: „Es besteht die Gefahr, daß zukünftig auch bei anderen Personengruppen nur noch DNA-Tests zur Familienzusammenführung akzeptiert werden.“ Auch der ausländerpolitische Sprecher der SPD, Eckehardt Barthel, kann sich mit dem Speicheltest nicht anfreunden: „Mir kommt diese gesteigerte Kontrollmaßnahme gespenstisch vor.“
Flüchtlingsorganisationen lehnen den DNA-Test ebenfalls ab: „Wir erwarten, daß Ehe und Familie bei uns vorbehaltlos unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und nicht erst nach positivem und privat finanziertem Speicheltest“, sagt Traudl Vorbrodt von Pax Christi. Julia Naumannn
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