: Geschlossene Heime geschlossen abgelehnt
■ Berlins Justizsenator Körting will straffällige Kinder einsperren lassen. Seine Bonner Parteifreunde lehnen das ab. Intensive pädagogische Betreuung statt Heimunterbringung. Den Eltern werden Erzie
Der Berliner Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) hat, kaum im Amt, die Parteilinie schon überschritten. Sein Vorschlag, straffällig gewordene Kinder in geschlossenen Heimen unterzubringen, wird von der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt. Der stellvertretende rechtspolitische Sprecher Jürgen Meyer bezichtigte Körting der „Scharfmacherei“. Beispiele in anderen Bundesländern hätten gezeigt, daß das Konzept der geschlossenen Unterbringung gescheitert sei. „Aus geschlossenen Heimen entweichen mehr Kinder, weil der Anreiz zum Ausbruch steigt“, sagte Meyer.
Der Berliner Justizsenator schätzt, daß es in der Hauptstadt rund 80 Kinder gibt, die „mit höherer Verbindlichkeit“ betreut werden sollten. Über die Einweisung solle ein Richter entscheiden. In Berlin wurden geschlossene Heime 1990 abgeschafft, weil sich unter Pädagogen die Erkenntnis durchgesetzt hatte, daß Kinder ihre kriminelle Energie oft erst in diesen Heimen entwickeln. Kinder unter 14 Jahren sind nicht strafmündig und können bislang in bundesweit acht geschlossenen Heimen untergebracht werden.
Die Berliner Heim-Debatte wird überlagert von einer Diskussion über Kinderkriminalität. Zwischen 1991 und 1996 stieg die Zahl tatverdächtiger Kids um 40 Prozent. Die Zahl der Raubdelikte von Jugendlichen wuchs im vergangenen Jahr um 18 Prozent. Rund 60 Prozent der Delikte sind Raub und Sachbeschädigung. Justizsenator Körting machte Erziehungsdefizite bei den Eltern für den Anstieg mitverantwortlich. „Es besteht die Tendenz, Verantwortung leichtfertig auf den Staat abzuschieben“, sagte Körting und kritisierte, daß Eltern ihre Kinder „ohne äußere Zwänge“ in Kindertagesstätten unterbrächten.
Jürgen Meyer von der Bonner SPD-Fraktion bezeichnete diese Begründung hingegen als „völlig abwegig“. Damit werde das Grundrecht von Frauen, berufstätig zu sein, in Frage gestellt. In Meyers Augen ist wachsende Armut die Hauptursache für die gestiegene Kinderkriminalität. „Eine Million Kinder leben von Sozialhilfe“, sagte Meyer, „sie holen sich das, was sie bei ihren reicheren Altersgenossen sehen.“ Statt Repression sei die Situation armer Familien zu verbessern. Ein erster Schritt sei die „Streichung des Kindergeldes bei Großverdienern“ zugunsten sozial Schwacher.
Die Berliner Jugendsenatorin Ingrid Stahmer, die die Forderung nach Heimen für Kinder heftig kritisiert hatte, will ihrem Parteifreund Körting im Falle von Jugendlichen entgegenkommen: Sie wird noch im Januar zwei neue Einrichtungen vorstellen, in der 14- bis 17jährige intensiv betreut werden. Körting meinte, ein solches Konzept erfülle seine Forderung nach geschlossenen Heimen.
Ulrich Goll, FDP-Justiziminister von Baden-Württemberg, unterstützt diese Forderung. Ein sehr kleiner Teil der Kinder begehe sehr schwere Straftaten, in seinem Bundesland seien es pro Jahr nicht mehr als zehn. „Hier müssen wir zu einer Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt kommen“, sagte Goll. Eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf 12 Jahre lehnte Goll ab. Eine solche Maßnahme würde auch Kinder treffen, die einen kleinen Diebstahl verübt hätten und bei denen die polizeiliche Vernehmung als Sanktion ausreiche. Ariel Hauptmeier
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