: Eisenstange gegen Fliegengewicht
Die umfangreichen Ermittlungen wegen zahlreicher Überfälle auf „Kaiser's“-Supermärkte sind im Prozeß auf zwei Raubtaten und einen Mord zusammengeschrumpft ■ Von Plutonia Plarre
Viel hat die Staatsanwaltschaft gegen drei mutmaßliche Mitglieder der sogenannten „Kaiser's- Bande“ nicht in petto, aber zumindest rein äußerlich wiegt eins der Beweisstücke schwer: Eine sechs Meter lange, faustdicke, rostige Eisenstange, die die Wachtmeister gestern morgen im Schweiße ihres Angesichts in den Gerichtssaal schleppten. Über das Gewicht des zweiten Beweismittels kann vorerst nur spekuliert werden. Es handelt sich um die unter Polizeischutz stehende Frau eines inzwischen verstorbenen mutmaßlichen Mittäters, die die drei Angeklagten bei der Kripo schwer belastet hat. Die Verteidiger halten die Kronzeugin wegen ihrer angeblichen Drogenabhängigkeit allerdings für ein nicht beweiskräftiges Fliegengewicht.
In dem Prozeß geht es um zwei Raubüberfalle auf Supermärkte und den Vorwurf des Mordes an dem Fahrer eines Geldtransporters. Der Mann war am 31.1.1994 in einer „Kaiser's“-Filiale in der Frankfurter Allee gerade dabei, die Tageseinnahmen von 87.000 Mark aus dem Laden zu tragen, als ihm der Koffer entrissen wurde. Obwohl er auf dem Boden lag, feuerten die Täter vier Pistolenschüsse auf ihn ab und verletzten ihn so schwer, daß er drei Wochen später im Krankenhaus starb. Die Täter waren mit der Beute aus einem Fenster im ersten Stock geklettert und an einer zuvor dort angelehnten Eisenstange runtergerutscht.
Der zweite Überfall fand am 23. Dezember 1994 in einer Filiale des Verbrauchermarkts „Extra“ in Köpenick statt. Nachdem die Täter einer Angestellten mit einer Waffe gegen den Kopf geschlagen hatten, waren sie mit den Weihnachtseinnahmen von 128.000 Mark geflüchtet.
Im Sommer 1995 wurden der 56jährige Verlagsangestellte Heinz B. und der 45jährige Tischler Joachim Sch. auf offener Straße verhaftet, nachdem sie zuvor wochenlang oberserviert worden waren. Bei dem dritten Angeklagten, dem 58jährigen ehemaligen BVG- Fahrgastbetreuer Dido C., waren die Handschellen schon vorher zugeschnappt. Auf die Spur war die Kripo dem Trio gekommen, nachdem der vierte mutmaßliche Täter im Februar 1995 an einer Überdosis Heroin gestorben war und dessen nunmehr als Kronzeugin in dem Prozeß auftretende Frau bei der Kripo ausgepackt hatte.
Zunächst hatte die Polizei wegen insgesamt 16 unaufgeklärten Überfallen auf „Kaiser's“ und andere Supermarktketten ermittelt. Offenbar war die Beweislage aber so dünn, daß es nur zur Anklage wegen zwei Raubüberfällen und dem Mord reichte. Lediglich der ehemalige Fahrgastbetreuer ist noch wegen eines anderen zu der Serie gerechneten Überfalls zu sieben Jahren verurteilt worden. Der Mann hat so viele Vorstrafen auf seinem Konto, daß er die letzten 20 Jahre nur mit kurzen Unterbrechungen in Freiheit war. Aber auch die beiden anderen Angeklagten haben kein unbedeutendes Vorstrafenregister.
Aufgrund zahlreicher Anträge der Verteidigung kam der Prozeß gestern nicht über die Anklageverlesung hinaus. Ab kommenden Montag bis mindestens Ende März geht's zweimal in der Woche weiter. Weil die Angeklagten die Aussage verweigern, muß die Staatsanwaltschaft durch Beweismittel bestechen. Für die Wachtmeister heißt das: Eisenstange buckeln.
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