■ Nordirland: Tony Blairs Plan ist ein Zugeständis an die Unionisten: Galgenfrist für den Friedensprozeß
Da sage einer, Gewalt zahlt sich in Nordirland nicht aus. Kaum haben die Loyalisten ein paar Katholiken getötet, tanzt wieder alles nach ihrer Pfeife. Die Nordirlandministerin Marjorie Mowlam rennt ins Gefängnis, um die Gefangenen, die den Mordauftrag gegeben haben, zu beschwichtigen. Und der Daily Telegraph druckt rechtzeitig ein angeblich geheimes Regierungspapier ab, das einen Plan ganz nach dem Geschmack der Loyalisten und Unionisten enthält.
Abgesehen davon, daß das konservative Blatt aufgrund seiner wohlbekannten unionistischen Linie mit Sicherheit selektiv zitiert hat – der Plan ist ohnehin kalter Kaffee. Er stammt auch gar nicht von Tony Blair, sondern von Unionisten-Chef David Trimble. Der hatte schon vor Monaten dieselben Ideen geäußert, und die Gegenseite hatte abgewinkt. Sollte Blair nun auch einen „Rat der britischen Inseln“ favorisieren, dem die noch zu schaffenden gesamtirischen Institutionen unterstellt sind, dann kann er die Belfaster Mehrparteiengespräche gleich abblasen. Der Plan käme einer Rückführung der Republik Irland ins Vereinigte Königreich sehr nahe – dagegen würde nicht nur die IRA rebellieren, sondern auch die katholischen Sozialdemokraten und die irische Regierung. Merkwürdig ist, daß die loyalistischen Gefangenen über Blairs adoptierten Vorschlag informiert worden sind, bevor die Parteien am Runden Tisch Wind davon bekamen. Mowlam betonte zwar oft, daß sie nicht zu den Gefangenen gegangen ist, um zu verhandeln, sondern um ihnen den britischen Standpunkt zu erklären. Doch das ist Unsinn. Natürlich hat sie verhandelt – nicht nur das: Sie hat Zugeständnisse gemacht. Und zwar auch im Namen der irischen Regierung, die nun die loyalistischen Gefangenen – durch deren politische Vertreter – vorab informieren muß, falls sie IRA-Gefangene freilassen will.
Die von Loyalisten immer wieder vorgebrachte Behauptung, die britische Regierung würde der katholischen Bevölkerungsminderheit – und damit der IRA, denn das ist für die meisten Loyalisten deckungsgleich – ständig nachgeben, wurzelt in einer uralten Belagerungsmentalität. Jeder Kompromiß ist in loyalistischen und unionistischen Augen ein Verrat. Solange Blair das nicht begreift, wird er keinen Schritt vorankommen. Mowlam bejubelt ihre Gefängnisvisite als Erfolg, weil die politischen Vertreter der loyalistischen Gefangenen heute bei den Mehrparteiengesprächen erscheinen werden. In Wahrheit hat sie nicht mehr als eine Galgenfrist für den Friedensprozeß herausgeholt. Ralf Sotscheck
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