: Keiner möchte als Klapskalli gelten
■ Doch unter dem wachsenden Druck werden immer mehr Erwerbslose depressiv – Zulauf für die Beratungsstelle SPSH
„Dadurch, daß Millionen Arbeitslose eifrig Arbeit suchen, wird kein einziger Arbeitsplatz geschaffen“, schimpft Barbara Schumak von der psychosozialen Beratungsstelle für Erwerbslose und Arme im Schanzenviertel. Sie kritisiert damit eine Neuregelung im Sozialgesetzbuch III, nach der Arbeitslose sich mehrmals im Monat bewerben müssen, um ihren Anspruch auf Unterstützung nicht zu verlieren. „Das nimmt den Leuten das letzte bißchen Elan, sich selbst ein neues Ziel zu setzen, um ihr weiteres Leben zu gestalten“, so Schumak.
Die „Solidarische Psychosoziale Hilfe“(SPSH) beobachtete in den letzten Monaten einen rapiden Anstieg der BesucherInnenzahlen. 25 Prozent mehr Ratsuchende fragen nach einem persönlichen Krisengespräch, die telefonische Beratung hat gar um 120 Prozent zugenommen. Gleichzeitig wurde der Etat der SPSH, wie der von vielen anderen sozialen Projekten auch, von der Behörde um fast ein Drittel gekürzt.
Die Psychologin Barbara Schumak führt den Anstieg der Beratungen auf den wachsenden Druck zurück. „Je mehr die objektiven Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt beschränkt sind, desto eher werden die einzelnen Betroffenen für ihr Schicksal verantwortlich gemacht.“
Die Unterstellung einer Versorgungsmentalität, von Unflexibilität und fehlender Qualifikation mache den Erwerbslosen mehr und mehr zu schaffen. „Es sind keineswegs nur Leute ohne Ausbildung, die zu uns kommen“, hat Schumak beobachtet. Viele junge AkademikerInnen arbeiteten ehrenamtlich oder auf Honorarbasis stundenweise am Rande ihres Berufsfeldes und hielten sich ansonsten mit Telefonmarketing oder Taxifahren über Wasser.
Doch viele der 750 Menschen, die im Durchschnitt pro Jahr bei der SPSH in die Beratung kommen, haben überhaupt keine Perspektive mehr. Das Sozialamt bietet ihnen Tätigkeiten für zehn Mark brutto die Stunde an – zum Beispiel in den Sortieranlagen für Gelbe Säcke. Wer dieses Angebot ablehnt, riskiert, daß der Regelsatz gekürzt oder langfristig überhaupt keine Sozialhilfe mehr gezahlt wird.
„Am schlimmsten sind für die Betroffenen die dauernden Fragen, was sie denn den ganzen Tag machen und ob sie Arbeit in Aussicht haben“, weiß die Psychologin. Depressive Störungen, Suchtprobleme und familiäre Schwierigkeiten seien die Folge. Für viele ist es leichter, in die Beratungsstelle zu kommen als eine Psychotherapie zu beginnen. „Niemand möchte obendrein im Bekanntenkreis als Klapskalli gelten.“
Lisa Schönemann
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