Ärztekammer will „Sterberichtlinien“ überarbeiten

■ Nach viel Kritik am Entwurfstext lenkt Kammer-Präsident Vilmar ein. Umstritten ist, ob bei Patienten im Koma eine vorherige Willenserklärung ausreicht, um die Behandlung abzubrechen

Königswinter (taz) – Nachdenklich, dialogbereit, lernfähig – so hat sich der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) am Donnerstag in Königswinter öffentlich präsentiert. Am Ende eines sechsstündigen Symposiums zur Sterbebegleitung im Hotel Maritim stand ein Versprechen des BÄK-Präsidenten Karsten Vilmar: Der heftig umstrittene Entwurf von Richtlinien zur „Ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung“ (taz vom 2.1. 1998) werde in den nächsten Wochen „überarbeitet und verbessert“. Was im einzelnen geändert werden soll, ließ Vilmar allerdings offen; ungeklärt blieb auch, ob die Öffentlichkeit erneut gehört wird, bevor im BÄK-Vorstand ein überarbeiteter Richtlinientext endgültig zum Beschluß ansteht.

Anregungen und Kritik gab es in Königswinter reichlich – vor allem zur Tatsache, daß das BÄK- Papier einen „Behandlungsabbruch lebenserhaltender Maßnahmen“ bei Menschen rechtfertigt, die sich nicht äußern können, aber keineswegs im Sterben liegen, also zum Beispiel bei bewußtlosen PatientInnen und schwerstbehinderten Neugeborenen.

Der tödliche Eingriff, etwa durch Entzug der Sondenernährung oder Einstellung der Beatmung, soll nach Meinung der BÄK-Spitze gerechtfertigt sein, sofern dies dem „mutmaßlichen Willen“ des Patienten entspreche. Diese Ermächtigung lehnt Walter Ullmer vom Bundesverband der Schädel-Hirn-Patienten in Not als „gefährlichen Schritt“ ab. Ullmer, dessen Frau seit Jahren im Wachkoma lebt und nach Aussage ihres Mannes nicht leidet, sagte: „Es muß Grundkonsens sein, daß kein Mensch den mutmaßlichen Willen hat, zu verhungern oder an einem trivialen, nicht behandelten Infekt zu sterben.“

Verbale Unterstützung erhielt Ullmer aus der Politik. Die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Monika Knoche erklärte, Ärzte und Gesellschaft hätten die Aufgabe, Menschen auch dann Solidarität und Zuwendung zu garantieren, wenn sie sich im Zustand der „Nichteinwiligungsfähigkeit“ befänden; ihr Leben dürfe nicht einfach als „unwert“ eingestuft werden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe warnte davor, daß die ausdrückliche Nennung von WachkomapatientInnen in der BÄK-Richtlinie eine ähnliche Entwicklung einleiten könne, wie sie bereits in England zu beobachten sei.

Dort diskutierten Mediziner angesichts des angeblichen „Organmangels“ nicht nur über den Entzug von Nahrung und Flüssigkeit. Vorgeschlagen werde auch, nichteinwilligungsfähigen Komapatienten Organe zu entnehmen und die Bewußtlosen für medizinische Versuche heranzuziehen.

„Die Richtlinie hat niemals wirtschaftliche Ziele verfolgt“, beteuerte dagegen Eggert Beleites für den BÄK-Vorstand. Der Professor, der den Text mitgeschrieben hat, räumte allerdings „Formulierungsfehler“ ein und stellte in Aussicht, daß in einem überarbeiteten Entwurf Wachkomapatienten möglicherweise nicht mehr erwähnt würden.

Selbstkritisch zeigte sich auch ein weiterer Autor des Richtlinienentwurfs, der Göttinger Strafrechtler Hans-Ludwig Schreiber. In der Richtlinie gebe es zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die noch geklärt werden müßten. Zum Beispiel müsse klargestellt werden, ob zur „Basishilfe“, die allen Patienten unabhängig von ihrem Gesundheitszustand garantiert wird, auch der Anspruch auf künstliche Ernährung gehöre.

Zudem stellte Schreiber klar, auf welch wackeligen Füßen die zentrale juristische Rechtfertigung für tödliche Eingriffe bei komatösen Menschen tatsächlich steht: Beim „mutmaßlichen Willen“, der den Behandlungsabbruch begründen soll, handele es sich keineswegs um den „realen“, sondern um den „hypothetischen“ Willen des Betroffenen. Dieses Rätsel könnten auch rechtlich unverbindliche Patientenverfügungen nicht lösen. Gleichwohl werden solche Papiere, Blätter und Ausweise immer wieder als ein wichtiges Indiz zur Ermittlung des Patientenwillens empfohlen – von Schreiber genauso wie vom BÄK-Richtlinienentwurf und dem Bundesgerichtshof.

Klaus-Peter Görlitzer