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Aufklärung gegen rechte Lügen

■ Rechtsradikaler Propaganda mit Argumenten Paroli bieten: Hamburger Student schrieb ein Handbuch für Pädagogen

Als Neonazis im November 1992 in Mölln ein von Türken bewohntes Haus in Brand setzten und dabei zwei Mädchen und eine Frau ums Leben kamen, war für Markus Tiedemann das Maß voll: „Da traf ich aus dem Bauch heraus die Entscheidung, etwas zu tun.“Der Hamburger Student begann, mit rechtsradikalen Jugendlichen zu arbeiten und sich mit deren Gedankengut auseinanderzusetzen. Der Einsatz an der pädagogischen Front motivierte ihn jetzt, ein Buch zu verfassen über „60 rechtsradikale Lügen, und wie man sie widerlegt“.

Bei einem Praktikum in einem Jugendzentrum suchte der inzwischen 27jährige das Gespräch mit dem rechten Nachwuchs, wenn auch zunächst wenig erfolgreich: „Das war ein pädagogisches Fiasko. Als angehender Akademiker bin ich da total auf die Schnauze gefallen.“Denn er wußte keine Antworten, wenn er mit pseudowissenschaftlichen Untersuchungen konfrontiert wurde, die belegen sollten, daß niemand in den Gaskammern der Nazis umgekommen sei.

Tiedemann begann, einschlägige Flugblätter und Broschüren zu sammeln und sich mit der wissenschaftlichen Literatur zum Thema zu beschäftigen. Herausgekommen ist eine pädagogische Handreichung gegen braune Lügen, Scheinargumente und Halbwahrheiten: „Für die Fachwissenschaft ist das nichts Neues, aber die in der Jugendarbeit tätigen Pädagogen können jetzt auf ein Handbuch zurückgreifen“. Vertritt zum Beispiel jemand die These, Zyklon B sei in Konzentrationslagern lediglich als Entlausungsmittel eingesetzt worden, empfiehlt Tiedemanns Nachschlagewerk, den Auschwitz-Kommandanten Höß zu zitieren. Der hatte während der Nürnberger Prozesse unter Eid ausgesagt: „Massenhinrichtungen durch Vergasung begannen im Laufe des Sommers 1941 und dauerten bis Herbst 1944. Nachdem ich das Vernichtungsgebäude in Auschwitz errichtet hatte, verwandte ich Zyklon B, eine kristallisierte Blausäure, die durch eine kleine Öffnung in die Todeskammer eingeworfen wurde.“Tiedemann entlarvt die Mörder mit ihren eigenen Zitaten.

Dennoch ist er „skeptisch“, ob Aufklärung allein ausreicht. Aber man dürfe niemanden verlorengeben, so sein Credo: „Die Jugendarbeit darf man nicht vernachlässigen. Rechtsextreme Jugendliche nach dem Motto agieren zu lassen 'solange sie keinen Krach machen, dürfen sie tun, was sie wollen', ist ein Fehler.“ Volker Stahl

Markus Tiedemann: „In Auschwitz wurde niemand vergast. 60 rechtsradikale Lügen, und wie man sie widerlegt“, Verlag an der Ruhr, Mühlheim, 24,80 Mark, ISBN 3-86072-275-1

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