: „Aufmärsche gehören nicht auf einen Friedhof“
■ Barbara Distel, Leiterin der Gedenkstätte Dachau, ist gegen Soldaten-Gelöbnisse in ehemaligen KZ. Uniformen an „Orten des europäischen Leids“ lösen bei vielen Ex-Häftlingen große Zweifel aus
taz: Haben Sie irgendwann mal eine Gelöbnisfeier miterlebt?
Barbara Distel: Ja, ich habe das einmal miterlebt, als Zuschauerin. Das wurde damals am Abend durchgeführt und war schon eine sehr martialische Veranstaltung in meiner Erinnerung. Wenn das Militär irgendwo aufmarschiert, dann ist das ja erst mal eine Demonstration von Macht.
Warum sind Sie gegen Gelöbnisse in den Gedenkstätten?
Die KZ-Gedenkstätten sind unter anderem ganz, ganz große Friedhöfe, Massenfriedhöfe. Für mich verträgt sich ein militärischer Aufmarsch grundsätzlich nicht mit einem Friedhof. Wir sind ein Ort des europäischen Leids. Ich wäre da sehr vorsichtig, was den Aufmarsch von Uniformen betrifft. In der DDR wurden ja Vereidigungen in Gedenkstätten durchgeführt, und ich weiß, daß das bei vielen ehemaligen Häftlingen große Zweifel auslöst.
Aber international gehen Militärzeremonien und Totengedenken oft Hand in Hand. Warum sollen beide Bereiche unvereinbar sein?
Für mich ist es noch mal was anderes, ob eine Militärdelegation einen Kranz niederlegt, vielleicht an einem Mahnmal, oder ob es eine Vereidigung einer ganzen Gruppe von Soldaten ist. Dafür ist es nicht der richtige Ort.
Sie betonen Ihr persönliches Unbehagen über Gelöbnisse in Gedenkstätten. Gibt es Gründe darüber hinaus?
Ich weiß von Überlebenden und ihren Angehörigen, die schon erschrocken reagieren, wenn sie hierherkommen und eine Besuchergruppe von hundert Bundeswehrsoldaten marschiert auf.
Kommen viele Bundeswehrgruppen nach Dachau?
Es gibt immer einen engen Zusammenhang zwischen unangenehmen Vorkommnissen in der Bundeswehr und den Besuchen in den Gedenkstätten. Zur Zeit kommen wieder sehr viele Gruppen. Das ist einfach die Reaktion auf die Diskussion um die Bundeswehr im Moment. Daran zeigt sich aber auch, daß diese Besuche noch zuwenig etabliert sind in der Bundeswehr. Die passieren nur ad hoc.
Um sich öffentlich Schuld von den Händen zu waschen?
Ja, da wird auch suggeriert, das Problem sei aus der Welt geschafft, wenn man sie nur mal in ein ehemaliges KZ schickt. Wobei man bedenken muß, daß allein ein Besuch in einer Gedenkstätte noch keine große Wirkung hat.
Warum sind Sie so kritisch gegenüber der Truppen-Vereidigung, wie sie in der DDR stattfand?
Das sind ja Zwangsveranstaltungen gewesen, so wie auch Jugendliche dort unter Zwang hingeschickt wurden. Und das hat eigentlich immer einen negativen Effekt, weil sie sich dem Ort nicht wirklich nähern können.
Das wäre ein Argument, das auch gegen heutige Gelöbnisfeiern in Gedenkstätten spricht?
Ja. Ich fürchte, das ist nicht mit einem Lernprozeß verbunden für die Soldaten. Warum macht man nicht das Gelöbnis in München und vorher mit den Rekruten einen Studientag in Dachau? Das wäre meine Alternative.
Wer hat das letzte Wort bei der Entscheidung über ein Gelöbnis im KZ?
Die Gedenkstätte untersteht dem Freistaat, aber es gibt einen Vertrag mit dem Internationalen Dachau-Komitee der Überlebenden, wichtige Fragen gemeinsam zu regeln. Und ich könnte mir schon vorstellen, daß das Internationale Dachau-Komitee in Gelöbnisse einwilligen würde. Der Präsident ist Franzose, und in Frankreich hat man nicht so Berührungsängste mit Uniformen.
Wenn das Häftlingskomitee womöglich einwilligt, warum sind Sie dann dagegen?
Das ist meine Einschätzung aufgrund meiner Arbeit hier. Auch auf der internationalen Ebene wird das nicht einheitlich bewertet. 1968 wurde auf dem Appellplatz ein Denkmal eingeweiht, da gab es militärische Delegationen, wenn auch keine deutschen, das führte zu heftigen Konflikten innerhalb der Häftlingsgemeinschaft: zwischen den Deutschen, die das überhaupt nicht wollten, und den Westeuropäern, die damit kein Problem hatten. Interview: Patrik Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen