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Richter kämpft für saubere Briefkästen

■ Die EU will die kommerzielle Werbung per E-Mail erlauben, aber das Landgericht Traunstein verweigert die Prozeßkostenhilfe für eine Firma, die an ausgewählte Kunden eine Werbemail verschickt hat: "Ma

Richter Weinzierl am Landgericht Traunstein wollte ein Exempel statuieren. Er sieht Heerscharen von Kundenfängern im Anmarsch auf den elektronischen Briefkasten. „Die begrenzte Zahl von E-Mail-Usern, deren erwartete wirtschaftliche Potenz und die leichte und preiswerte Verschickungsmöglichkeit lassen ein weiteres Anschwellen der Werbeflut erwarten“, schrieb er in die Begründung eines Beschlusses, mit dem er einem Mailwerber auch noch den Antrag auf Prozeßkostenhilfe abschmetterte (AZ: 2HK O 375597). Der „Rechtsverteidigung“ fehle in diesem Fall „die hinreichende Erfolgsaussicht“, beschied Weinzierl in durchaus eigener Sache. Denn er selbst hatte vergangenen Oktober per einstweilige Verfügung dem antragstellenden Unternehmen für EDV- Dienstleistungen verboten, an ausgewählte Adressen eine Werbemail zu schicken. Er sah das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verletzt.

Wahrlich kein Einzelfall. Der Onlinedienst AOL schätzt, daß er jeden Tag etwa 17 Millionen elektronische Briefe zustellt. „Ein beträchtlicher Teil“ davon, schimpfte neulich ein Sprecher in New York, sei beim Empfänger nicht erwünscht. Es handle sich um Massensendungen, die für „Diätprogramme, Wege zum Reichtum oder pornographische Bilder“ werben. AOL hat zum Jahresbeginn drei Firmen, die sich in diesem Zweig der Werbebranche tummeln, auf Schadenersatz verklagt. Die Summe solle „erheblich sein“, sagte der Sprecher, um Nachahmungstäter abzuschrecken.

Geld entschied auch den Fall von Traunstein. Ohne staatlichen Zuschuß wollte die unterlegene Partei das Prozeßrisiko nicht tragen. Die Akte ist geschlossen, was Tobias Strömer in Düsseldorf aus uneigennützigen Gründen bedauert. Der Anwalt der werbelustigen EDV-Firma findet, daß dieser Prozeß die beantragten Steuergelder wert gewesen wäre. Die Mailwerbung wirft weiter offene Rechtsfragen auf. „Nun müssen wir warten, bis es einer wirklich wissen will“, sagt Strömer, der Weinzierls Schriftsatz auch für Laien auf seine Website gestellt hat: www.netlaw. de/urteile/lgts_02.html. Die Chancen, in einem anderen Fall ein anderes Urteil zu erstreiten, sind so schlecht nicht. Richter Weinzierl stützt sich auf die Rechtsprechung gegen Telefonwerbung, Faxwerbung und gegen Werbung über das alte BTX-System der Bundespost.

Auch er weiß, daß diese Medien mit der E-Mail kaum vergleichbar sind. Dennoch seien die entsprechenden Urteile darauf anzuwenden, allein schon, um einem „zu erwartenden Sog- und Nachnahmeeffekt“ vorzubeugen. Gerade auf die Massenwirkung aber setzt die EU, die den Telekommunikationsmarkt liberalisieren will. Rechtliche Beschränkungen für Werbeträger passen nicht ins Konzept. Nach einer bereits erlassenen Vorschrift dürfen „E-Mail-Dienste zu kommerziellen Zwecken“ immer dann benutzt werden, „wenn der Verbraucher sie nicht offenkundig ablehnt“, zitiert auch Weinzierl aus der „Fernabsatzrichtlinie“ der EU. Diese Vorgabe müsse aber erst noch in nationales Recht umgesetzt werden, schreibt er, und sie lasse dann auch strengere Regelungen zu.

Bis dahin werden Jahre vergehen. Tobias Strömer rechnet nicht vor 2006 mit einem entsprechenden deutschen Gesetz. Solange gilt Richterrecht, das auf beide Seiten abschreckend wirkt: Wer sich von Mailwerbung privat belästigt fühlt, muß ein riskantes Gerichtsverfahren in Kauf nehmen, wenn er den Absender verklagen will. Strömer empfiehlt die Delete-Taste und eine formlose, aber eindeutige Rückantwort. Aber auch Firmen werden sich nach dem Traunsteiner Fall überlegen, ob sie den Mailroboter für ihre frohe Botschaft in Gang setzen. Das kann teuer werden, wenn die Konkurrenz wieder vor Gericht zieht. Richter Weinzierl hatte gleich ein Ordnungsgeld von einer halben Million Mark angedroht – zuzüglich der Gerichtskosten. Niklaus Hablützel

niklaus@taz.de

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