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Ein terroristischer Staat

Der Ministerpräsident der Türkei gibt fast den gesamten Wortlaut des Untersuchungsberichts über politische Verbrechen des Staates im In- und Ausland frei  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Unter öffentlichem Druck hat der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz weitere Teile des Susurluk-Untersuchungsberichtes über die Beziehungen von Staat und organisierter Kriminalität veröffentlicht. Der Bericht von Kutlu Savas, Sonderermittler des Ministerpräsidenten, zerstreut die letzten Zweifel darüber, daß der türkische Staat Todesschwadrone gegen die kurdische Opposition einsetzte, Journalisten ermordete und mit Drogenbossen zusammenarbeitete.

In dem Bericht wird zugestanden, daß der Staat Kriminelle für eine Reihe politischer Morde an Oppositionellen einsetzte: Die Ermordung des kurdischen Intellektuellen Musa Anter, des kurdischen Abgeordneten Mehmet Sincar, des Parteivorsitzenden der „Arbeitspartei des Volkes“, Vedat Aydin.

Der Bombenanschlag auf die oppositionell-kurdische Tageszeitung Özgür Ülke (Freies Land) im Dezember 1994 war laut Bericht eine Warnung des Staates an den Financier der Zeitung, Behcet Cantürk: „Der Staat wurde mit Rechtsmitteln mit Cantürk nicht fertig. Folge war, daß die Zeitung Özgür Ülke mit Plastikbomben in die Luft gejagt wurde. Während erwartet wurde, daß Cantürk sich nunmehr dem Staat fügt, plante dieser eine neue Zeitung. Der türkische Sicherheitsapparat beschloß seine Ermordung, und dieser Beschluß wurde exekutiert. Somit war eine Person von der rund 100 Personen umfassenden Liste, die die damalige Ministerpräsidentin als Unternehmer, die die PKK finanzieren, benannte, weniger geworden.“

Obwohl der Sonderermittler meint, daß politische Morde im Interesse der Staatsräson zugelassen seien, kritisiert er die Art und Weise, wie gemordet wurde. „Wer hat den Auftrag für die Ermordung von Cantürk gegeben? Wer hat die Vollmacht dazu? Wer ist gegenüber wem verantwortlich?“

Eine zentrale Rolle in dem Bericht spielt der flüchtige Mahmut Yildirim, bekannt unter seinem Decknamen „Grün“. Grün, der offensichtlich Dutzende Morde zu verantworten hat, arbeitete zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Auftrag des Militärs, des Geheimdienstes und des Polizeiapparates und kassierte Provisionsgelder aus dem Drogengeschäft. „Es ist schwierig zu erklären, warum die staatlichen Autoritäten mit Grün zusammenarbeiteten, obwohl sie wußten, daß Grün in Fällen von Erpressungen, Vergewaltigungen, Raub, Mord, Folter und Entführung der Täter war.“

Gegenstand des Berichtes sind auch Ausgaben des Geheimfonds des Ministerpräsidenten, die an obskure Waffenhändler flossen. Auch Kredite staatlicher Banken flossen direkt in die Hände mächtiger Drogenbarone. Der Drogenboß Mehmet Ali Yaprak, spezialisiert auf Produktion und Schmuggel des Aufputschmittels Captagon in arabische Länder, habe den Wahlkampf von Exinnenminister Mehmet Agar finanziert.

Wegen Unstimmigkeiten beim Bau von Spielcasinos in Georgien sei versucht worden, den Präsidenten Eduard Schwewardnadse zu ermorden, sagte der türkische Staatsminister Eyüp Asik. Zu einer diplomatischen Krise mit Aserbaidschan führten Aussagen des Untersuchungsberichtes, wonach der Sohn des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew dem Spielhöllenkönig Ömer Lütfü Topal 500.000 US-Dollar schuldete. Topal, der Juli 1996 ums Leben kam, steht ebenfalls im Zentrum des Untersuchungsberichtes. Mit türkischen Krediten der Eximbank seien Topals Hotels und sein Casino-Imperium in Turkmenistan finanziert worden.

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