: Mit der Leica in die Emigration
Es gibt neben „Magnum“ noch eine andere große, historisch gewachsene Fotoagentur: „Black Star – 60 Years of Photojournalism“ erzählt ihre Geschichte ■ Von Brigitte Werneburg
Auf dem Umschlag ist ein Foto von John F. Kennedy abgebildet, wie er im Weißen Haus in einem Schaukelstuhl sitzt. Der Präsident ist im Halbprofil zu sehen, er scheint entspannt, wenngleich er keineswegs untätig ist und in irgendwelchen Papieren liest. Weiße Sitz-, Rücken- und Armpolster geben der einfachen Holzkonstruktion des Stuhls ein wenig Bequemlichkeit. Im diffusen, warmen Raumlicht hebt sich das dunkle Holz gegen das üppige Polstersofa im Hintergrund ab. Kennedys schwarze Schuhe glänzen mit dem polierten Holz um die Wette. Kennedy ist jung, der Stuhl ist alt; das einfache Möbelstück könnte aus einem amerikanischen Siedlerhaus stammen; es steht für die amerikanische Pioniergeschichte, die der Präsident, elegant und weltmännisch inmitten des Luxus, den die reichste Gesellschaft der Welt ihm zu Verfügung stellt, weiter fortschreiben möchte.
Das Foto stammt von Fred Ward/Black Star. Es hängt noch heute, so erfährt man in dem prächtigen Bildband „Black Star – 60 Years of Photojournalism“, den es ziert, im Eingangsbereich der berühmten Fotoagentur in Manhattan. „Black Star“ selbst ist eine Pioniergeschichte – allerdings begann sie nicht in Amerika, sondern in der Weimarer Republik. Es ist die Geschichte einer erfolgreichen Immigration von Medienpionieren, die durch die Machtergreifung Hitlers in die Emigration gezwungen wurden.
Es waren nämlich drei Berliner in New York, Ernest Meyer, Kurt Szafranski und Kurt Kornfeld, die 1936 die Agentur gründeten. Meyer hatte in Berlin die Agentur „Mauritius“ betrieben, eine der modernen Bildagenturen, die nicht nur aktuelle Pressefotos verkauften, sondern auch umfangreiche, gut recherchierte Fotoreportagen vermittelten. Damit trug er wesentlich zur Entwicklung eines modernen Fotojournalismus bei, wie ihn die deutschen Illustrierten und Magazine der 20er Jahre erstmals publizierten.
Szafranski fungierte bei Ullstein als Produktionsleiter für die Berliner Illustrirte Zeitung und die Monatsmagazine. Bevor er mit Ernest Meyer zusammentraf, hatte er für den Presse-Tycoon William Randolph Hearst einen Dummy für eine illustrierte Wochenzeitung im Stil der Berliner Illustrirten entwickelt. Sein Freund und Kollege Kurt Korff, ehemals Chefredakteur der Berliner Illustrirten, arbeitete in gleicher Funktion für Henry Luce. Nachdem dieser 1936 mit Life herauskam, stellte Hearst sein Illustriertenprojekt ein. So kam es schließlich zur Gründung der neuen Fotoagentur. Ihr Logo, der schwarze Stern, war Szafranski gedankt, der ihn im Setzkasten der amerikanischen Drucker fand.
Der Erfolg von „Black Star“ hing unmittelbar mit der Gründung von Life zusammen. Mit Life hatte der Verlag von Henry Luce plötzlich einen ganz speziellen Bildbedarf, den zunächst nur europäische Fotografen decken konnten. Was sie ihren amerikanischen Kollegen voraus hatten, war neben ihrem Wissen um den Aufbau und die Dramaturgie einer fotografisch erzählten Bildgeschichte ihre Spezialisierung auf die schnelle, praktikable Kleinbildfotografie mit der Leica. Da viele der bekannten Fotojournalisten der Weimarer Zeit gleichfalls emigrieren mußten, konnte die Agentur auf ihr schon vertraute Leute zurückgreifen. Auch wenn die Agentur keine von den Fotografen selbst organisierte war, wie später „Magnum“, so mußte das Klima doch als familiär gelten, denn „Black Star“ war ein echtes Emigrantennest.
Ein Archiv für Bill Gates
Hendrik Neubauer, Leiter der Essener Agentur „Das Fotoarchiv“, der die Frühgeschichte von „Black Star“ in einer knappen Einführung faktenreich wiedergibt, nennt Robert Capa, Fritz Goro, Andreas Feininger, Philippe Halsmann, Herbert Gehr, Fritz Henle, Werner Wolff, Ralph Crane, Fred Stein und Roman Vishniac als die Emigranten, die von „Black Star“ vertreten wurden.
Alfred Eisenstaedt, ein weiterer berühmter Fotograf, so läßt sich die Geschichte der Flucht vor Hitler ergänzen, war bei „Pix“, der Agentur des Berliner Emigranten Leon Daniel, unter Vertrag. Anders als „Black Star“ überlebte diese Agentur nicht. Doch eine weitere deutsche Gründung machte erst vor zwei Jahren Schlagzeilen, als Corbis Corp., ein vom Microsoft-Vorstand Bill Gates gegründetes Unternehmen, die Bettmann-Library aufkaufte. Diese Erwerbung, so Wired, machte Corbis erstmals zu einem ernstzunehmenden Zukunftsunternehmen. Die Summe von 6 Millionen Dollar dürfte eine der höchsten sein, die je für ein Fotoarchiv bezahlt wurde. Otto Bettmann war Kustos an der Kunstbibliothek in Berlin gewesen, in der Abteilung seltener Bücher. Bei seiner Ausreise 1935 nach New York durfte er als einzigen Besitz zwei Koffer mit Fotografien und Mikrofilmen ausführen. Mit diesem Kapital startete er seine Bildagentur in New York, deren Geschichte nun bis ins Zeitalter der virtuellen Bibliothek reicht. Auch er lieferte zunächst stark an Life.
Neben der Verbindung mit Life dürfte die berühmte Ausstellung „The Family of Man“, die der Direktor der Fotoabteilung des Museum of Modern Art, Edward Steichen, 1955 organisierte, zu den großen Triumphen in der Geschichte von „Black Star“ zählen. Immerhin trug jede dritte Seite des Ausstellungskatalogs den Fotonachweis der Agentur. Gemeinsam mit ihren Fotografen war sie nun endgültig in Amerika zu Hause.
Allerdings endete die große Zeit des Fotojournalismus schon wenige Jahre nach „Family of Man“. Die reflektierende Hintergrundgeschichte war weniger und weniger gefragt. Die Fotojournalisten standen wieder an dem Punkt, an dem das Agenturkonzept seinen Ausgang genommen hatte, der ereignisorientierten Bildberichterstattung, die sie mit der großen Reportage zeitweise hatten überwinden können. Nachrichtenbilder sind heute erneut das Hauptarbeitsgebiet des Fotojournalismus.
Stumm am Rande der Revolution
Leider ist diese Entwicklung im Bildband der 60jährigen Agenturgeschichte nur bedingt nachvollziehbar, da die Anordnung der Fotografien nicht chronologisch erfolgt, sondern nach Kapiteln wie „Krieg und Krise“, „Jäger und Sammler“, „Schnappschuß und Sinnbild“, „Idylle und verlorenes Paradies“ sowie „Kleine Leute – Großer Auftritt“. Entgegen ihrer Intention schreckt eine solch biedere Rubrizierung ja eher von der Lektüre ab. Man sollte die Abneigung überwinden. Es finden sich großartige Einzelbilder und Fotoserien, die zeigen, daß die informative Reportage selbst unter den aktuellen Bedingungen der Ereignisfotografie möglich ist. Die Kapitel – mit Ausnahme des ethnologischen – quer gelesen, erhält man einen guten Überblick über das Weltgeschehen der letzten 60 Jahre. Und dabei sind auch visuell kaum, historisch aber sehr wohl bekannte Ereignisse dokumentiert; etwa der Selma-Marsch nach Montgomery am 7. März 1965, ein Tag, der als „Blutsonntag“ in die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung einging.
Der Band macht merkwürdigerweise wenig aus seinen Tugenden, zu denen nicht nur die informativen Bildlegenden in Englisch, Deutsch und Französisch gehören, sondern auch Beispiele neuerer Reportagen über abgelegene, doch keineswegs abwegige Themen, wie Nitsan Shorers Fotoserie über das Leben behinderter Beduinenkinder in der Negev-Wüste 1990. Ob sich „Black Star“ etwas vergeben hätte, wenn die Agentur genauere Auskünfte über ihre heutige Situation geliefert hätte? Wenn die Fotos auch einmal in ihrer gedruckten Form gezeigt worden wären, wie sie etwa im Stern zu sehen waren, wenn weniger das reine Bilderbuch und mehr das Geschichtsbuch des Fotojournalismus akzentuiert worden wäre?
Das Überleben von „Black Star“ ist zweifellos so kompromißbeladenen wie heldenhaft. Es kann kein Betriebsgeheimnis sein, weil man die aktuellen Nöte der Bildberichterstattung auch als einfacher Zeitungs- und Zeitschriftenleser mitbekommt. Und gerade weil der Unfalltod von Prinzessin Diana deutlich machte, wie sehr auch eine angesehene Agentur wie Gamma die Paparazzi-Fotografie für ihr ökonomisches Fortkommen zu benötigen glaubt, hätte der Frage nach der weiteren Zukunft des Fotojournalismus ein wenig mehr Platz eingeräumt werden können. Dennoch ist der Band eine überfällige Tat, weil mit ihm die Geschichte der journalistischen Fotografie noch ein anderes großes Gesicht bekommt als nur das von „Magnum“.
Hendrik Neubauer: „Black Star – 60 Years of Photojournalism“, Könemann Verlag Köln 1997, 48 DM
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