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Da ist Musik drin

Krise bei der Stadtreinigung: Mit der neuen Telefonanlage muß auch eine Warteschleife her  ■ Von Heike Haarhoff

So eine neue Telefonanlage will genau konzipiert sein. „Mit oder ohne Musikschleife?“ist eine Entscheidung, gemessen an der winterliche Räumungsarbeiten auf verschneiten Straßen auf Problemchenniveau schmelzen. Die Hamburger Stadtreinigung jedenfalls stürzt die Frage, ob ihre neue Telekommunikationsanlage mit oder ohne „Musikbaustein“geliefert werden soll, derzeit in ihre wohl tiefste Sinnkrise.

Ihr Pressesprecher, Andree Möller, will „dieses Gedudel“auf gar keinen Fall. Denn: „Was Oma mag, mag der Enkel nicht.“Unmöglich, den durchschnittlichen Musikgeschmack des durchschnittlichen Stadtreinigungsanrufers zu treffen. Er wolle ja, seufzt Möller, auch „weg von dem Image: Das sind die von der Mülle“. Mit Wort-Ansagen beispielsweise wie: „Liebe Kundin, es sind noch drei Anrufer vor Ihnen.“Aber nicht mit Musik. Schließlich, unterstützt ihn der Hamburger Musikpädagoge Wolfhagen Sobirey, sei diese „meistens nicht mal von Psychologen ausgesucht“.

Doch Walter Genz, bei der Telekom zuständig für „Music on Hold, kurz MoH“, ist zuversichtlich: „MoH gehört heute einfach zur besseren Kundenbetreuung.“Trügen die monotonen Instrumental-Melodien von „Für Elise“bis „La Cucaracha“, auf einem Steckmodul bereits für DM 725 zu erwerben, doch dazu bei, „die Knappheit der Leitungen zu kaschieren“. Die Telekom ihrerseits sucht dieses Problem „mit irgendwas von Brahms“aus der Welt zu räumen.

Genz' Geheimtip aber ist „Ray Conniff, der ungekrönte König der Unterhaltungsmusik vor James Last“. „Ganz einschmeichelnde Melodien“habe der geschrieben. Viele davon sogar „Gema-frei“, also frei von Komponisten-Tantiemen. Was nach Angaben der Bahn sowie eines großen Hamburger Kreditunternehmens „wichtigstes Auswahlkriterium“ist. „Schließlich rufen wir uns ja nicht selbst an.“

Marketing-orientierter sind die Überlegungen einer großen Hamburger Brauerei. „Wiedererkennungseffekt“verspricht man sich dort vom eigens komponierten Song „Everlasting friends“.

Die Hits im Gema-freien Potpourri dagegen reichen von blecherner „Amazing Grace“über herzerfrischenden „Traviata Shuffle“, Trommelfell-sprengende „Götterfunken“bis zu zünftigen „Geschichten aus dem Wienerwald“und sind unter Tel. 02103-246074 mitzujodeln.

Zu schade, daß „unsere Telefonanlage selbst dafür technisch zu alt ist“, sinniert ein Oberstleutnant der skandalumwitterten Hamburger Führungsakademie. „Einen Lieblingstitel“, den er „nicht verraten will“, habe er schon.

Neidvoll blickt er zur Stadtreinigung, die offenbar das Geld für eine schöne Musikschleife hat, sich aber der Finanzausgabe verweigert. So nicht, findet auch die taz. Zur Imageprägung und besonderen Ehre ihres Aufsichtsratsvorsitzenden daher unser Tip: „Mein kleiner grüner Porschke“.

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