piwik no script img

„1992 sagten Sie, Herr Kohl ...“

■ Bei der gestrigen Sonderdebatte im Bundestag trieb die Opposition ihren Spott mit den „Neuen Initiativen zur Beschäftigungsförderung“

Minutenlang zählte SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping die goldenen Kohl-Worte der 16 Neujahrsansprachen auf: „1992 sagten Sie, Herr Kohl: ,Es geht jetzt darum, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen.‘ Die Arbeitslosigkeit stieg auf 3,1 Millionen. 1993 sagten Sie, Herr Kohl: ,Beschäftigung zu sichern und neue Arbeitsplätze zu schaffen – dies ist unsere gemeinsame Pflicht.‘ Die Arbeitslosigkeit stieg auf 3,7 Millionen. 1996 sagten Sie, Herr Kohl...“ Der strich mit einem Textmarker über seine Akten, und es schien, als streiche er um so kräftiger, je länger die Litanei dauerte.

The same procedure also, bei Kohl wie auch bei der gestrigen x- ten Sonderdebatte über die Arbeitslosigkeit? Diesmal lag ein Antrag mit dem Titel „Arbeit ist genug vorhanden – Neue Initiativen zur Beschäftigungsförderung“ des CDU-Abgeordneten Ulf Fink zur Beratung vor. Erst der fünfte Redner setzte sich mit den Punkten des Papiers auseinander, das Joschka Fischer als „Dokument der Handlungsunfähigkeit“ und Scharping als „Dokument der völligen Abdankung“ bezeichnete.

Punkt 1 sieht vor, die Kommunen aufzufordern, jede Möglichkeit der Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern, insbesondere durch Schaffung von Arbeitsgelegenheiten, zu nutzen. „Arbeits- Gelegenheit“, betonte Grogor Gysi (PDS), „das heißt, Sie wollen für Sozialhilfeempfänger nicht mehr Arbeitsplätze schaffen, sondern nur Gelegenheiten.“

In Punkt 2 wird vorgeschlagen, für Arbeitslose das Sozialhilferecht und das Arbeitslosenhilferecht anzugleichen. Gysi: „Und wie soll dadurch auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen werden?“ Punkt 3 fordert eine Initiative zur Qualifizierung und Arbeit für Schulabgänger. Spöttisch zitierte Gysi den Lösungsansatz des Papiers: „Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, mit den Ländern... darüber in Gespräche einzutreten.“ Gysi kritisierte ebenfalls den Vorschlag, durch niedrigere Löhne Dienstleistungsberufe attraktiver zu machen. „Wollen Sie ernsthaft die Probleme dadurch lösen, daß wir mehr Schuhputzer und Pförtner einstellen?“

Wie immer bei Reden von PDS- Politikern im Bundestag klatschten auschließlich die eigenen Abgeordneten. Selbst Gysis Feststellung, die Gesellschaft leide weit weniger unter Sozialbetrug als unter der Steuerhinterziehung durch die Reichen, zollten SPD und Grüne keinen Applaus. Beifallumrauscht dagegen war das sachliche Rededuell zwischen SPD-Chef Oskar Lafontaine und CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble. Während sich Lafontaine für eine Stärkung der Binnenkaufkraft und höhere Löhne einsetzte sowie Investitionen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit forderte, sagte Schäuble, es müsse auf der ganzen Linie gespart werden, um niedrigere Steuersätze finanzieren zu können. Übrigens: Der Antrag der Koalitionsfraktionen zur Beschäftigungsinitiative wurde in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Markus Franz, Bonn

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen