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„Wenn du es selbst machst, geht es schneller“

Vier Algerier sitzen in Hamburgs Abschiebeknast Glasmoor. In dem Land, aus dem sie flohen, drohen ihnen Folter und Tod. Dann, sagen sie, doch lieber Selbstmord  ■ Von Elke Spanner

5. Februar: „In Algerien sind am Donnerstag erneut neun Menschen massakriert worden. Den Einwohnern eines Dorfes nahe der westalgerischen Bezirkshauptstadt Tlemcen wurden die Kehlen durchgeschnitten.“(dpa)

Er spricht kein Deutsch. Deshalb versucht Ali G., mit Gesten zu beschreiben, wie der Alltag auf den Straßen Algeriens aussieht: Er setzt den Zeigefinger als Pistole an seine rechte Schläfe und zieht mit der Handkante an seinem Hals entlang. Dann deutet er an, wie er sich schlafen legt. „Sechs“, sagt er und drückt damit aus, daß er sich abends im Dunkeln nicht mehr auf die Straße traute. Seit einer Woche ist der junge Algerier in Deutschland. Er floh seinem Bruder hinterher. Dem jedoch steht die Reise in die entgegengesetzte Richtung bevor: Seit Dezember sitzt Merouane G. im Abschiebegefängnis Glasmoor.

3. Februar: „Bei landesweiten Offensiven haben die algerischen Sicherheitskräfte 70 mutmaßliche Terroristen getötet. Das Dorf Amarchia sei von Panzern beschossen worden. Zudem wurden in Tlemcen 15 Zivilisten getötet.“(Reuters)

Fassungslos blickt der Dreijährige seinem Vater hinterher, wie dieser hinter der beigen Stahltür verschwindet. Auch Merouane folgt dem Blick vom Besuchsraum in den Zellentrakt von Glasmoor. „Lieber bleibe ich zwei Jahre hier, als nach Algerien zurückzugehen“, sagt er. Ein Freund von ihm sei im November von Belgien aus abgeschoben worden. Schon am Flughafen wurde er getötet. Von wem? Merouane zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht mehr, wer da wen umbringt.“

In Glasmoor gibt es einen Fernseher. Täglich verfolgt Merouane die Ereignisse in dem Land, aus dem er kommt und in das er nach dem Willen der Ausländerbehörde bald wieder soll. Noch hat das Amt keine Papiere für ihn. Er fürchtet sich davor, einen Paß zu bekommen, und er hofft darauf. Denn Merouane will hier seine Verlobte heiraten, und dafür braucht er die Papiere.

In seiner Zelle ist er zusammen mit einem anderen Algerier untergebracht. Dessen Reisepaß liegt der Ausländerbehörde bereits vor. Auch er sitzt schon seit November in Glasmoor. Es laufe noch eine Rechtsmittelfrist, begründet Ausländerbehördensprecher Gunnar Eisold, wieso der junge Mann noch nicht ausgeflogen worden sei. Merouan vermutet einen anderen Grund: „Die Ausländerbehörde weiß, daß sie momentan niemanden abschieben kann. Wer zurückgeht, ist hundertprozentig tot“. Dennoch hat Hamburg keinen generellen Abschiebestopp für Algerier ausgesprochen.

1. Februar: „Bei mehreren Überfällen haben mutmaßliche Fundamentalisten in Algerien erneut 15 Menschen ermordet. Im selben Zeitraum erschoß die Armee mehrere Kämpfer der fundamentalistischen Bewaffneten Islamischen Gruppe GIA.“(dpa)

Merouane lebte in der Hauptstadt Algier mit Eltern und acht Geschwistern. Nach sechs Monaten beim algerischen Militär setzte er sich nach Italien ab. Von dort kam er nach Deutschland. Deshalb habe seine Familie Drohbriefe der GIA bekommen. Sein Vater solle Geld für ihn zahlen, sonst würde Merouane umgebracht, hätten die Verfasser des Schreibens angedroht. Sein Onkel habe darauf geantwortet, daß er nicht zu zahlen bereit sei. Wenige Tage später sei er tot aufgefunden worden. „Ich habe Angst“, sagt Merouane. Er hält den Kontakt zu den anderen drei Algeriern in Glasmoor. „Wir sagen alle: Wenn die Polizei uns hier holen kommt, dann...“und deutet mit der rechten Hand Schnitte auf dem linken Handgelenk an. Aus Angst vor dem drohenden Tod Selbstmord? Merouane nickt entschieden. „In Algerien kommst du erst noch ins Gefängnis und wirst gefoltert. Wenn du es selbst machst, geht es schneller.“

1. Februar: „Die Welle terroristischer Gewalttaten in Algerien reißt nicht ab. Dabei wurden mindestens zwölf Menschen seit Donnerstag getötet. In Constantine schnitten mehrere Bewaffnete einem jungen Wehrpflichtigen auf offener Straße die Kehle durch.“(dpa)

Merouanes bester Freund, Mohammed, lebt seit zehn Jahren in Kiel. Nächste Woche fliegt er zum ersten Mal für sieben Tage zurück nach Algerien. Wäre sein Vater nicht schwer krank, niemals würde er das tun. Daß sich die Situation jetzt, seit dem Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan, entspannt, glauben die beiden nicht. „Pfft“, sagt Mohammed verächtlich. „Das ist seit Jahren so, daß sie einen Monat Massaker verüben, dann gibt es eine kurze Pause und es geht weiter“. Er grinst Merouane an. „Nächste Woche mußt du fernsehen. Dann siehst du vielleicht meinen Kopf.“Und schneidet sich mit der Handkante über den Hals.

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