200.000 Bosnier ohne Sozialhilfe

■ Bundesrat entzieht auf Initiative Berlins "illegalen Ausländern" Existenzminimum. Diakonie warnt: Das trifft vor allem Bosnienflüchtlinge. Bundestag diskutiert Gesetzesvorlage im voraus

Bonn (taz) – Mit Unterstützung mehrerer SPD-Länder hat der Bundesrat bis zu 250.000 Ausländern in Deutschland den Anspruch auf Sozialleistungen entzogen. Der Bundestag muß sich mit dem Gesetzvorhaben noch befassen.

Die neuen Bestimmungen zielten vor allem auf Kriegsflüchtlinge, hatte zuvor der Präsident des evangelischen Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde, gewarnt. In der Öffentlichkeit sei hingegen behauptet worden, es gehe um „illegale“ Ausländer. Betroffen seien etwa 200.000 bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge sowie abgelehnte Asylbewerber aus Algerien und Somalia. Die Staatssekretärin des Berliner Sozialministeriums, Verena Butalikakis (CDU), bestätigte gegenüber der taz, daß ein „Großteil der Bosnier“ von dem Leistungsentzug betroffen sei. Die Flüchtlinge könnten künftig allenfalls „kurzfristige Minimalleistungen“ erhalten. Berlin hatte die Initiative im Bundesrat eingebracht.

Der Entwurf sieht Zahlungskürzungen für den Fall vor, daß ein Ausländer nur deshalb nach Deutschland einreiste, um Sozialleistungen zu erhalten. Bosnischen Flüchtlingen können die Zahlungen auch dann gekürzt werden, wenn sie nicht freiwillig aus Deutschland ausreisen, obwohl dies möglich wäre. Nach einem taz- Bericht war der Gesetzentwurf auf Proteste bei Teilen der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und der PDS gestoßen. Auch Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Pro Asyl und die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) protestierten dagegen, Menschen die Sozialhilfe zu entziehen.

Die Entscheidung im Bundesrat war erst wenige Minuten alt, als im Bundestag eine von Bündnis 90/Die Grünen beantragte Aktuelle Stunde zum Thema begann. „Was wird aus den 200.000 bosnischen Flüchtlingen?“ empörte sich Andrea Fischer von den Grünen. Wolfgang Lohmann (CDU) sagte, die Unterhaltszahlungen der Bosnier seien „kein Thema“. Sabine Bergmann-Pohl (CDU), Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, erklärte, der Leistungsentzug solle „vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer“ treffen, also Migranten, die ihre Identität verschleierten oder ihren Paß vernichtet hätten. Nicht betroffen seien geduldete Asylbewerber oder Bürgerkriegsflüchtlinge, denen in ihrer Heimat Gefahr für Leib und Leben drohe. Bergmann-Pohl räumte ein, den Bundesratsbeschluß im Wortlaut nicht zu kennen. Ihr Haus wird in den nächsten Wochen eine Stellungnahme dazu abgeben und dem Bundestag vorlegen.

Während Grüne und PDS den Gesetzentwurf rundweg ablehnen, ist die Haltung der SPD gespalten. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD) äußerte ihr „tiefes Unbehagen, gerade auch angesichts des schillernden Meinungsbildes unter den SPD-geführten Ländern“. Die drei Länder Niedersachsen, das Saarland und Brandenburg, in denen die SPD allein regiert, hatten dem Entwurf zugestimmt. Die fünf rot- grün regierten Länder enthielten sich der Stimme.

Ob die FDP der Novelle im Bundestag zustimmen wird, ist bislang unklar. Uwe-Bernd Lühr, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, kritisierte jedenfalls die vage Formulierung darüber, wer alles von der Regelung ausgenommen werden soll. „Geduldete Flüchtlinge sind legal, nicht illegal“, sagte er. hap/nau/pat