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Schlag an die nicht vorhandene Hüfte

■ Beim Iaido, der japanischen Schwertkampf-Kunst, kommen die Kämpfenden ohne Gegner aus

Der Anblick eines Trainings im „Hansa-Dojo“hat etwas Skurriles: Junge Menschen in langen schwarzen Gewändern, sogenannten „Hakamas“, hocken in einer Art Schneidersitz am Boden und fixieren starr eine bestimmte Stelle an der Wand. Blitzartig und scheinbar ohne äußeren Anlaß schnellt plötzlich einer von ihnen aus dem Schneidersitz empor, weicht einem nicht existenten Gegner aus und zerteilt mit einem riesigen Metallschwert mehrmals die Luft.

„Ryuto“heißt diese Figur, in der ein Kämpfer zunächst einem imaginären Gegenangriff ausweicht, um dem theoretischen Gegner dann blitzschnell einen Schlag in die Hüfte zu versetzen. Als letzte Geste wischt sich der Samurai das imaginäre Blut seines Opfers ab.

Die Übung gehört zu einem Sport, der sich „Iaido“nennt und Elemente des Zen-Buddhismus mit traditionellen japanischen Schwertkampftechniken vereint. Die Trainingshalle heißt „Dojo“, ein Teil der Ausrüstung „laitos“, und während des Trainings fallen Formeln wie „onegaishimasu“(“wir bitten um Unterweisung“). Das alles findet statt in einer der Gegenden, in denen sich Hamburg von seiner häßlichsten Seite zeigt: last exit Rothenburgsort, Gustav-Kunst Straße. In der Hausnummer 2 befindet sich das „Dojo“, der Ort an dem „Hakushinkai Hamburg e.V.“dreimal wöchentlich trainiert.

„Man kann die Außenwelt einfach vergessen“, sagt die siebzehnjährige Katja Ewald, eine Hamburger Iaido-Kämpferin. Denn ein Dojo, erklärt „Übungsleiter“Karl-Heinz Lübcke, ist „eine Stätte der Meditation und Konzentration, ein geehrter Ort des Lernens, der Brüderlichkeit, der Freundschaft und des gegenseitigen Respekts“. Iai-do bedeutet wörtlich übersetzt „auf seinem Weg ganz bei sich sein“. Fenster in der Trainingshalle fehlen – Symbol für die „Weltabgewandtheit“der Übungen. Dafür, daß dennoch eine freundliche Atmosphäre herrscht, sorgt helles Holz als Wandverkleidung. An der Stirnseite ist eine kleine Buddha-Statue installiert.

Als „Kampfsport“möchte Lübcke seine Disziplin nicht bezeichnet wissen: „Die meisten Leute denken beim Wort Schwertkampf zuerst an Bruce Lee“, glaubt der Endvierziger. Beim Iaido wird zwar auch gekämpft, sogar mit einem Schwert, „aber im Gegensatz zum Kampfsport ist man hier ausschließlich mit sich selbst beschäftigt“. Der Gegner ist lediglich imaginär. Das konzentrierte Vollführen und Wiederholen bestimmter Bewegungsabläufe mache den Schüler „offener für geistige Erfahrungen“, erklärt Lübcke. Das Ziel: „Die Stärkung von Körper und Willenskraft.“

Wenn Lübcke von „Mut, Entschlußfähigkeit, Liebe und Zuneigung zu anderen Menschen“als Inhalten der zen-buddhistischen Lehre spricht, wirkt der Mann, der jedes Jahr für einige Wochen nach Japan reist, beinahe unzufrieden mit seinen Erläuterungen. Es sei schwierig, den geistigen Gehalt des Iaido in Worte zu fassen. Er basiere „auf geistigen Erfahrungen“und Meditation.

Der Schwertkampf entstand als Kompromiß: Im 16. Jahrhundert wurden buddhistische Oberhäupter in Japan beauftragt, eine Trainingsmethode für die im Schwertkampf geübten Samurai-Soldaten zu entwerfen. Sie sollten in Friedenszeiten nicht ihre kriegerischen Fertigkeiten verlieren. Doch „Samurai sind brutale Killer“, erklärt Lübke. „Der Zen-Buddhismus dagegen vertritt das Gegenteil, nämlich Liebe und das Verbot zu töten.“Als eine Art buddhistischer Variante des Kampfes wurde Iaido geschaffen.

Lübcke selbst muß momentan Kompromisse ganz anderer Art machen. Der Mann, der einige seiner Schüler zu Europameistern gemacht hat, muß die bundesweit 800 Mitglieder zählende Gemeinschaft der Iaidoka umstrukturieren. Bisher war sie in vier Sek-tionen unterteilt, jetzt verlangt der Deutsche Sportbund Landesverbände. Und wenn es um Satzungsfragen geht, stößt auch die Weltabgewandtheit der Iaido-Kämpfer an ihre Grenzen.

Christoph Ruf

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