: Giftzwerg von Loccum
■ Seit 20 Jahren kämpfen Bürgerinitiativen gegen die Dioxinschleuder Münchehagen/ Immer dabei Heinrich Bredemeier, 51 Jahre
oktor Fritz Erich Anhelm, Leiter der renommierten evangelischen Akademie Loccum, spricht abgewogene Worte: „Da hat jemand sein politisches Mandat wahrgenommen und das Verfahren beendet.“Heinrich Bredemeier, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Giftmüll klotzt: „Die europäische Müllmafia hat zugeschlagen.“Und Günter Närlich, im niedersächsischen Umweltministerium zuständig für die Altlasten-Deponie Münchehagen, beruhigt: „Eine Gefahr geht von der Deponie eigentlich nicht aus.“
Es geht um das Mediationsverfahren; das ist eine Art Runder Tisch in Sachen Sicherung der Mülldeponie Münchehagen. Unbeachtet von der Öffentlichkeit hat die Landesregierung diese Maßnahme nach acht Jahren zum 31. Dezember 1997 aufgekündigt. Dabei lag ihr ein Beschluß des Verwaltungsgerichts Hannover von 1988 zugrunde. Damals war die Illegalität der Deponie festgestellt worden. Nachdem das Land Niedersachsen und die klagende Gemeinde Petershagen aber auf den weiteren Weg durch die Gerichtsinstanzen verzichteten, einigten sich die streitenden Parteien auf ein Mediationsverfahren, bei dem Regierung, Behörden, Experten und Bürgerinitiativen fortan ein Sicherungskonzept der Deponie berieten. Dafür beendeten die Bürgerinitiativen ihrerseits die öffentliche Kampagne gegen die Deponie. „Das war ein Fehler“, sagt Bredemeier heute.
Acht Jahre hat Bredemeier im Mediationsverfahren den Bürgerinitiativen zugearbeitet. Acht Jahre lang hat ihn die Landesregierung dafür bezahlt. Jetzt ist er gekündigt.
„Wir standen kurz vor einem gemeinsamen Beschluß, deswegen sind wir enttäuscht, daß die Regierung das Verfahren abgebrochen hat und jetzt ein eigenes Sicher-ungskonzept durchzieht“, sagt Anhelm. Der Kirchenmann war während der letzten drei Jahre als neutraler Mediator zu der Gruppe gestoßen. Nach deren Beendigung hofft er jetzt auf eine grüne Regierungsbeteiligung nach den Landtagswahlen: „Vielleicht können die Grünen die Mediation wieder in Gang bringen.“
Die Deponie ist ein stark gesicherter, einsamer Erker an der Bundesstraße zwischen Loccum, Münchehagen und Petershagen in Niedersachsen. Dicht an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen liegen im Wald ein paar Tonkuhlen. „Niemand weiß so richtig, welche Gifte hier weggekippt wurden und wie sie in der Deponie miteinander reagieren“, meint Heinrich Bredemeier. Seit fast zwanzig Jahren kämpft der ehemalige Handwerker mit der 7.000 Köpfe starken Bürgerinitiative gegen die Giftdeponie. Mittlerweile ist er selbst Experte für Sondermüllbeseitigung. Er hat sich mit fast allen, die Rang und Namen in Behörden und Ministerien haben, angelegt. „Die können sich nicht vorstellen, daß sich ein einfacher Handwerker umfangreiches Wissen aneignen kann.“
Mitte der Achtziger Jahre geriet Münchehagen in die Schlagzeilen. Europaweit wurde nach 41 Fässern mit dem Sevesogift Dioxin gefahndet. Nach drei Tagen spektakulärer Suche in Münchehagen gaben die Fahnder im August 1985 bekannt: „Die Sevesofässer sind nicht in Münchehagen.“Bredemeier schimpft: „Alles Verarschung.“
Was Presse und Behörden nicht wissen wollten: in Münchehagen wurde zur gleichen Zeit die weltweit höchste Dioxin-Konzentration gemessen. Seit Jahren wurden hier Gifte aus der französischen Kampfmittelproduktion abgelagert. „Insgesamt viel mehr, als in den 41 Sevesofässern enthalten war“, sagt Bredemeier.
Ebenfalls nicht wissen wollte die Öffentlichkeit vom Tod des Polizeibeamten Joachim Blümel. Er tat Ende 1985 Dienst auf der Deponie, während es davor immer wieder zu Demonstrationen gekommen war. „Die Polizisten wußten nicht, was sie bewachten“, erzählt Bredemeier. Nachts seien die Beamten in die Camps der Demonstranten gekommen. „Wir haben denen erstmal erklärt, daß sie wegen der Dioxindämpfe aus der Deponie unbedingt ihre Gasmasken aufbehalten müßten.“Für Joachim Blümle kam die Aufklärung zu spät. Er starb wenige Tage nach seinem Einsatz in der Deponie. Ungeklärte Ursache. Bis heute sind die Widersprüche, in die sich die Gutachter nach der Obduktion der Leiche verwickelten, nicht ausgeräumt.
Immer noch, so Bredemeier, trete Dioxin aus der Müllkippe aus. Erkrankungen an Leukämie seien in der Region häufiger als anderswo. Zur Zeit organisieren die Bürgerinitiativen Knochenmarkspenden für Krebskranke. „Das Sicherheitskonzept der Landesregierung reicht nicht aus“, spult Bredemeier Daten, Analysen und technische Details ab und verblüfft sogar Angestellte vor Ort. „Heini“, duzen ihn die Sachbearbeiter und Notfallsanitäter der Deponie. Es kommt vor, daß Heini ihnen süffisant ein Problem der Giftmüllbeseitigung erklärt.
Thomas Schumacher
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