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Die Suppenvergifter

Suppe, Marmelade, Kinderbrei: Die sogenannte Produkterpressung hat Konjunktur. Über Geschäftsideen, Aufwandsminimierung und die Effekte auf die Warenwelt. Was wollen die Täter, und welche kulturellen Handlungsmuster liegen ihrem Tun zugrunde?  ■ Von Thomas Wörtche

Wer Lebensmittel vergiftet oder mit der Vergiftung von Lebensmitteln droht, ist eine Dreckbacke und gehört schnellstens aus dem Verkehr gezogen. Punkt, basta, keine Diskussion.

Nachdem das klar ist, können wir uns das Delikt „Produkterpressung“ genauer ansehen, das derzeit in Medien und Polizeiberichten hohe Aufmerksamkeitsraten erzielt. Die Dunkel- und Verschweigeziffer ist hoch, aber über 100 Fälle dürfte es im letzten Jahr gegeben haben. Der Trend setzt sich fröhlich fort, wie der nur angedrohte Anschlag auf die Riesensuppentüte von Maggi gerade gezeigt hat.

Angriff auf die Marktmechanismen

Im Grunde machen die Täter nichts Neues: Sie greifen kapitalistische Strukturen an deren allerbreitester Oberfläche an, ihren massenhaft ausgelegten Waren. Anders als beim guten alten Einbrecher oder Räuber, steht ihnen allerdings nicht der Sinn nach Umverteilung des Profits. Sie klauen die Ware nicht, um sie hinterher auf eigene Rechnung zu verscherbeln; sie haben gelernt von der symbolhaften Abstraktion der Warentermingeschäfte. Man muß die Waren notfalls gar nicht beschädigen (bzw. nur punktuell, zu Demonstrationszwecken) oder gar an sich bringen; die Möglichkeit, irgend etwas an den Waren zu manipulieren, reicht aus, um den Cash- flow in Bewegung zu setzen. Zumindest in der Theorie.

Die Erkenntnisse über das Täterprofil eines durchschnittlichen Produkterpressers, von dem sämtliche damit befaßten Polizeistellen ausgehen, zeigen, daß es sich dabei ironischerweise meist um hochverschuldete Selbständige handelt, die vermutlich genau an Cash- flow-Problemen gescheitert sind. Was die großen Börsencrashs der 80er Jahre infolge von Warentermingeschäften und die Derivatkatastrophen der 90er (Derivate sind die avancierteste Abstraktion von Geld) vorgeführt haben, die Suppenvergifter machen es auf der grob „kleinkriminellen“ Ebene nach.

Das Know-how reicht meist nicht ganz aus. Entweder, auch das sagen die Spezialisten von Landes- und Bundeskriminalämtern, werden die Erpressungen abgebrochen oder die Täter beim neuralgischen Punkt von derlei Operationen geschnappt: der Geldübergabe. Das wird so sein, aber die freudige Betonung dieses Punktes seitens der Polizei darf durchaus mißtrauisch machen. Das Debakel bei der Reemtsma-Entführung ist noch allzu bewußt – das meiste Geld und der Haupttäter sind bis heute verschwunden.

Man kann, ganz im Sinne des großen Kriminologen Gustav Radbruch, nach einer bestimmten „kriminellen Physiognomik“ von „Zeitgeist und Zeitumständen“ suchen. Zu denen gehört auch der sich verändernde Umgang mit der schönen, bunten Warenwelt. Bekanntlich hat sich Literatur um die Verdichtungen des jeweiligen kriminellen Zeitgeistes gekümmert: Das beginnt – was Waren betrifft – bei Walter de la Mares bösartiger Erzählung „Die Orgie – eine Idylle“ aus spätviktorianischer Zeit. Dort treibt ein müßiggehender Jüngling seinen ekligen Erbonkel in den Ruin: Er kauft auf Rechnung des Alten ein ganzes Kaufhaus leer und sonnt sich dabei in der Reputation des spendablen Gentleman. Um die einzelnen Waren geht es ihm nicht. Er braucht sie nicht, er kann nichts damit anfangen, er muß sie lediglich aussuchen. Ein Gentleman macht sich die Finger nicht an der Ware schmutzig, der Warenverkehr aber leistet ihm gute Dienste.

Vergiftete Lebensmittel und Fastfood

Das Bedürfnis, sich die Finger nicht schmutzig zu machen, dürften auch unsere heutigen Täter haben. Zumindest pflegen sie diese Illusion. Sie zielen, um ihrer Erpressung Nachdruck zu verleihen, auf Massenprodukte: Fastfood, Kindernahrung und Marmelade. Und nur die fiction darf sich den ketzerischen Gedanken erlauben, daß eine gewisse Sorte Fastfood gar nicht mehr groß vergiftet werden muß, weil sie längst ungenießbar ist. So läßt Sarah Shankman in ihrer Story „Some you win“ (1994) einen FBI-Mann räsonnieren, ob nicht das „Gefrier-Jambalaja“, vermittels dessen der Produzent erpreßt wird, in Wirklichkeit unter Anklage gehört. Es sind auch allenfalls herzlose Snobs, die angesichts mit ein wenig Gift versetzter zweifelhafter Schlabberpackungen ins Grübeln über ästhetische Hemmschwellen kommen. Die Lebensmittelanalysen von Pollmer & Co. lassen die Hersteller ja auch in punkto Bekömmlichkeit nicht gerade im günstigsten Licht dastehen. Aber daraus darf man natürlich keine Rechtfertigungen ableiten.

Es gibt aber noch eine unschöne Implikation, die sich besser auch bloß die fiction zu sagen traut. Weil sie nichts belegen muß. Ridley Pearson, damals Chandler/Fulbright-Stipendiat in Oxford, deutet in seinem Roman „No Witnesses“ von 1994 die durchaus positiven Effekte einer Produkterpressung für die Herstellerfirmen an: Zwar entsteht ein erheblicher Imageschaden, und das Entfernen eines Produktes vom Markt ist teuer. Die fällige Versicherungssumme allerdings kann man sehr schön zur ebenfalls teuren Entwicklung eines neuen Produktes verwenden. Günstig, wenn das bedrohte Produkt sowieso ein Auslaufmodell war.

Geschäftsidee beinahe ohne Aufwand

Aber das ist reine Spekulation und verglichen mit der Realität eher naiv. So hat es gerade Mercedes erwischt. Die elchgeschüttelten Autobauer wurden von einem Herrn erpreßt, der drohte, Mercedes- Fahrer zu erschießen, wenn Mercedes nicht zahlt. Am letzten Wochenende hat man ihn festgenommen. Interessant an diesem Fall ist, daß er die Tendenz verstärkt: Die einzelne Ware spielt gar keine Rolle mehr. Es geht um Profitmaximierung bei gleichzeitiger Aufwandsminimierung. Da will jemand Gewinn abschöpfen, ohne sich mit dem Mühsal der Wertschöpfung zu belasten. Der Räuber alten Schlages brauchte eine Logistik von Akquisition, Distribution, Lagerhaltung etc. Der neue Typus braucht nur noch die „Geschäftsidee“ und will sie sich vom Meistbietenden abkaufen lassen. Wenn Mercedes nicht zahlt, wer weiß, vielleicht zahlen General Motors oder Ford sogar besser? Der schon zitierte Radbruch hat recht: „Verbrechen“ ist eine variable Kategorie und korreliert mit den diversen gesellschaftlichen Übereinkünften. Solange sich ein Managertypus, der mit einer „Geschäftsidee“ Tausende Existenzen vernichtet – bei „Freisetzung“ von Arbeitskräften als Folge eines take over, zugunsten der Profitmaximierung, die sich nicht mit der Mühsal der Wertschöpfung belasten möchte, etwa –, allgemeiner, talkshowkompatibler Beliebtheit erfreut und politisch erwünscht fühlen darf, darf man sich über die kriminellen Grobkopien zumindest nicht wundern. Life is a xerox.

So wie man die große Wirtschaft gerne als „Spiel“ sieht (Global Players), so inszeniert man das Endspiel zwischen Täter und Polizei, die Geldübergabe. Daß der Täter dabei erst, wie im Falle Dagobert, ein paar Punkte in Führung geht, um dann letztendlich und verdientermaßen doch geschlagen zu werden, entspricht der beruhigenden Dramaturgie eines durchschnittlichen Thrillers. So wie der von Pearson. (Der Text von Shankman nicht, der ist „realitätstüchtiger“). Auch die Verfolgung der Reemtsma-Entführer wird am Ende doch so ausgehen. Die Opfer können derlei Spielereien nichts abgewinnen. Sie bleiben auf der Strecke. Im großen Wirtschaftsspiel und in der kleinkriminellen Lumpiversion gleichermaßen. Bisher hat hierzulande glücklicherweise wohl noch niemand ein vergiftetes Produkt gegessen. Heribert Prantl hat jüngst in der Süddeutschen Zeitung eine Parallele zwischen dem Tattyp Lebensmittelvergifter und dem innenpolitischen Brunnenvergiften gezogen: „Anlaß zum Nachdenken“. Im Klartext: über die Rahmenbedingungen und Folgen der geistig-moralischen Wende von 1982, die beide Typen hat virulent werden lassen.

Zum Weiterlesen:

Walter de la Mare: „Die Orgie – eine Idylle“. Deutsch von Elizabeth Gilbert. Diogenes, 1965

Sarah Shankman: „Was du kriegst“. Deutsch von Thomas Wörtche. Bastei, 1994

Ridley Pearson: „Spur ohne Schatten“. Deutsch von Heinz Zwack. Goldmann, 1998

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