: "Schritt vor, Schritt zurück!"
■ Warum es unmöglich ist, einem Major Meldung zu erstatten. Der Schriftsteller Werner Fritsch über seine Erfahrungen in der Bundeswehr und die Möglichkeiten, die das Theater heute noch hat
Werner Fritsch hat sich kürzlich mit einem Essay zum Thema Bundeswehr im „Spiegel“ zu Wort gemeldet. Fritsch schildert darin seine persönlichen Erfahrungen, die er zu seiner Wehrdienstzeit Anfang der 80er Jahre gemacht hat und die er auch in seinem Theaterstück „Fleischwolf“ (Suhrkamp, 1992) verarbeitet hat. Fritsch widerspricht vehement der These von den rechtsradikalen Einzeltätern. Er kritisiert sowohl Struktur und Form der Bundeswehr als auch ihre selbstgewählte Tradition.
taz: Herr Fritsch, was hat Sie dazu bewogen, in die Diskussion um rechtsradikale Vorfälle bei der Bundeswehr einzugreifen?
Werner Fritsch: Weil ich selber bei der Bundeswehr war und innerhalb dieser Institution gemerkt habe, daß der Geist, der dort herrscht, kein demokratischer ist, durch die Struktur von Befehl und Gehorsam. Die Sprache, die dort gesprochen wird, ist durchdrungen von Machismen, von Chauvinismen und Rassismen, von einem Geist, den man eigentlich sonst in der Gesellschaft nicht antrifft. Anfang der 80er Jahre war es noch nicht an der Tagesordnung, daß man an jeder Straßenecke dergleichen Parolen hört, daß es Auschwitz nicht gegeben habe, daß der Jude ein Bazillus sei usw. Das hat man nur in der Bundeswehr gehört. Heute hört man es ja in der Gesellschaft. Ich habe in meinem Leben nur zwei Orte erlebt, wo der Faschismus überwintern konnte, das ist an den Stammtischen auf dem Land und mitten im Zentrum der Gesellschaft, in der „Schule der Nation“, in der Bundeswehr.
Die Figuren Ihres Stückes „Fleischwolf“, Gefreite der Bundeswehr und ihre Vorgesetzten, lesen Bücher wie „Die Auschwitz- Lüge“ und sehen pornographisch- rassistische Videos. Wenn es bei der Bundeswehr schon damals so zuging, warum wurde dies nicht öffentlich thematisiert?
Ich habe Sachen erlebt im politischen Unterricht, die extrem antisemitisch waren. Ich wollte das melden beim Major, wußte aber, daß das nicht angenommen werden würde. Ich wartete deshalb, bis ein Brigadegeneral die Kaserne besucht. Dann meldete ich mich zur Ordonnanz. Alle sagten: Ja, das paßt, der Fritsch, unser Abiturient, der wird da eine gute Figur machen in der Ausgehuniform und dem Brigadegeneral den Kaffee kredenzen. Ich ging zu diesem Brigadegeneral hin, schenkte ihm zittrig Kaffee ein und sagte: Herr Brigadegeneral, ich will folgende Sachen zur Meldung bringen. Da schrie er mich an: Was fällt Ihnen ein, melden Sie sich bei Ihrem Kompanieführer mit Ihren Beschwerden. Ja gut, dann ging ich zum Kompanieführer. Normalerweise dauert das zwei bis drei Tage, bis man da Audienz bekommt, in der Situation ging's innerhalb von fünf Minuten. Ich kam zum Major rein, und der sagte: Mütze runter, ein Schritt vor, ein Schritt zurück. Das ging eine halbe Stunde, nur immer dieses: Schritt vor, Schritt zurück. Dann sagte er: Fritsch, wir kennen uns aus. Na gut, dann kannte ich mich aus.
Ich schrieb dann dieses Stück, das eine Verdichtung dessen ist, was ich innerhalb von eineinviertel Jahren gehört habe. 1984 wollte ich es das erste Mal in meiner Kasernenstadt aufführen — das wurde von der Stadt verhindert. Seit 1985 wollten es die Münchner Kammerspiele aufführen — das dauerte sieben Jahre, wo es immer wieder Plenumsdiskussionen gab, ob man das wohl machen kann oder nicht. Und dann haben die immer wieder gesagt, nein, das können wir nicht machen, das ist zu radikal. 1992, als dann die ersten Asylantenheime brannten und das, was in der Sprache der Bundeswehr schon seit Jahren Realität war, politische Wirklichkeit wurde, hat das Schauspiel Bonn den „Fleischwolf“ uraufgeführt. In der Folge gab es eine große Vernichtungskampagne mit unendlich vielen Verrissen. Und das perfide war, daß es hieß, das sei Theater „von rechts unten“, z.B. in der FAZ. Das ist genauso idiotisch, wie wenn man gesagt hätte, Ödön von Horváth, der wie kein anderer Dramatiker unseres Jahrhunderts aufzeigt, wie und wo der Faschismus aufgekommen ist, wäre ein präfaschistischer Autor.
Viele Intellektuelle schweigen zu Rassismus und Rechtsradikalismus. Wie beurteilen Sie das?
Sicher muß der Autor den Nerv der Zeit treffen, aber ich denke auch, er muß einen Widerspruch zur Zeit wagen, wenn die Zeit eine ungute Entwicklung nimmt. Ich bewundere Leute wie Pasolini, die eben nicht der Zeit nach dem Maul geredet haben, sondern von ihrem eigenen Gewissen ausgegangen sind. Und da ist das heute so ein bißchen Trendsetter-sein-Wollen, Herdenführer intellektueller Mode. Diesen Wunsch spüre ich in diesen Aussagen von Kollegen, und das enttäuscht mich.
Inwiefern könnte das Theater dem rechten Zeitgeist in der Gesellschaft entgegenwirken?
Fast 100 Jahre lang hat das Bild als Dokument gegolten. Jetzt wird es zerfressen vom Virus der Virtualität. Bilder können digitalisiert werden, die Dokumentaraufnahmen, die für uns und die Generation vor uns ganz deutlich gesagt haben, es hat Auschwitz gegeben, es hat Berge von Toten gegeben, die werden für die nächste Generation in keiner Weise mehr eine Verbindlichkeit haben. Für mich als Autor kann nur noch über die Kunst, also über das lebendige Weitererzählen dieser geschichtlichen Tatsachen überhaupt ein Gedächtnis aufrechterhalten werden, überhaupt der Versuch unternommen werden, noch größere Dummheiten, die natürlich gewachsen sind durch die Möglichkeiten heutiger Menschenvernichtung, zu verhindern. Da muß eben jetzt noch einmal die Kunst voll in die Bresche springen und hat eben wie seit Jahrtausenden diese Aufgabe, weil mir ja schon Aischylos erzählt, was die Perserkriege anrichteten, weil mir schon Aristophanes erzählt, wie man Krieg verhindert. Das ist ein ungeheuerer Resonanzraum von menschlicher Information. Man merkt, das haben die Leute nicht geschrieben, weil sie mal kurz einen Erfolg haben wollten, sondern weil es eine gültige Wahrheit ist, die auch Jahrtausende überlebt.
Ist das Thema Bundeswehr für Sie jetzt abgeschlossen, oder arbeiten Sie weiter daran?
Ich habe mich mit Soldaten getroffen, die jetzt bei der Bundeswehr sind, und von ihnen erfahren, daß mittlerweile „Jude“ schon ein Standard-Schimpfwort ist. Ein Spruch wie: „Geh von meinem Rucksack runter, du Jude“ sei an der Tagesordnung. Oder ein Unteroffizier, der angesichts eines unaufgeräumten Zimmers sagt: „Sieht ja total jüdisch aus hier.“ Das war zu meiner Zeit in dieser Schärfe noch nicht der Fall.
Interview: Stefan Wirner
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