Kommentar: Sieg der Diplomatie
■ Nicht die Kriegsdrohung, Kofi Annan brachte Saddam zum Einlenken
Was war ausschlaggebend für die Vereinbarung von Bagdad, mit der ein neuer Golfkrieg zumindest vorerst abgewendet wurde? Annans Diplomatie oder die militärische Drohgebärde der USA? Die meisten Kommentatoren deutscher Medien wollen uns glauben machen, daß der massive Aufmarsch der US-Streitkräfte Sadam Hussein zum Nachgeben zwang. Nur unter diesem Druck sei er bereit gewesen, auf die Vermittlung des UNO-Generalsekretärs einzugehen.
Doch die Argumentation unterschlägt zweierlei: erstens, daß die USA die diplomatischen Bemühungen Annans noch bis Anfang letzter Woche nicht wollten und im Sicherheitsrat verhinderten. Zweitens und wichtiger: Diese Argumentation verkennt die Kalküle und Interessen Saddam Husseins. Ein erneutes Bombardement war für den Diktator zwar keine erfreuliche Perspektive, aber auch keine ausreichende Drohung, um ihn zu substantiellen Kompromissen zu zwingen. Das Leiden seines ohnehin schon geschundenen Volkes unter einem neuen Krieg war Saddam Hussein gleichgültig. Zugleich konnte er davon ausgehen, daß er erneute militärische Angriffe der USA überlebt und sich danach — möglicherweise lediglich um einige Massenvernichtungsmittel ärmer — weiterhin in seiner derzeitigen Machtposition befunden hätte.
Saddam Hussein weiß genau, daß die USA einen Irak unter einem mit Massenvernichtungsmitteln hantierenden Diktator noch auf absehbare Zeit brauchen. Aus geostrategischen Interessen in der Nahostregion. Und als Feindbild zur Neubegründung ihrer militärischen Eindämmungspolitik gegen „Schurkenstaaten“. Umgekehrt profitiert Saddam Hussein in Teilen der eigenen Bevölkerung und der arabischen Welt vom Feindbild der Weltmacht USA. Diesem gemeinsamen und sich gegenseitig bedingenden Interesse Bagdads und Washingtons an der Aufrechterhaltung des Status quo eines latenten Spannungsverhältnisses diente die Diplomatie des UNO-Generalsekretärs.
Die Clinton-Administration müßte sich bei Annan bedanken, daß er ihr in letzter Minute einen Ausstieg aus der selbsterzeugten Dynamik Richtung Krieg ermöglichte. Denn dieser Krieg mit völlig ungeklärten militärischen und politischen Zielen und zugleich hohen Risiken für die US- Außenpolitik hätte Bill Clinton mehr geschadet als Saddam Hussein. Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen