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Zwei Wochen für Entfaltung

Ein Protokoll mit Inseln, ein Diener mit Befehlsgewalt und ein Chefkoch sicherten den Ablauf der Matthiae-Mahlzeit  ■ Von Achim Fischer

Die Welt ist nicht nur ungerecht, wie wir an dieser Stelle immer wieder erfahren, sie ist auch undankbar. Und schrecklich kompliziert. Vor allem für Menschen mit Verantwortung, die für Leib und Wohl anderer Sorge tragen, die stunden-, tage-, ach was, wochenlang sich schinden, um die gierige Brut, die sich selbst „Freunde“nennt, mit sieben Gängen, Schnäpschen und Likörchen wenigstens vom gröbsten Murren abzuhalten.

Sechs Mäuler bringen dabei den Hausmann ins Rotieren, zehn zur Verzweiflung. Bei 425 wittert Günter Liebert „eine interessante Abwechslung“, kommandiert Peter Schuster über das A und O der Logistik und plant Jürgen Graessner kleine Inseln. Zusammen managten die drei Herren die gestrige Matthiae-Mahlzeit im Hamburger Rathaus, das älteste noch begangene Festmahl der Welt.

„Die Sitzordnung ist mit das Schwierigste an der ganzen Sache“, schmunzelte Jürgen Graessner gestern mittag. Graessner ist Protokoll-Chef Inland des hohen Hauses. „Ich versuche die Leute so zu gruppieren, daß sie sich miteinander unterhalten können.“Sitznachbarn sollten mindestens eine gemeinsame Sprache sprechen. Bei internationalen Gästen nicht immer selbstverständlich.

Der Protokoll-Chef achtet auf gemeinsame Interessen. „Ich versuche Inseln zu bilden.“Zum Beispiel? „Um den Wirtschaftssenator setze ich Leute aus der Wirtschaft. Um den Umweltsenator“, kleine Pause, „eben andere.“Offizielle Lebensgefährten werden nicht nebeneinander plaziert. „Eheleute sitzen doch sowieso schon jeden Abend zusammen.“Nach der Sitzordnung bleiben sie in Sichtweite.

„Die Logistik ist das A und O bei so einer Veranstaltung“, stellt Peter Schuster klar. Schuster ist Chef der Ratsdiener. „Unter meinem Kommando laufen heute 120 Mann.“Kleine Brötchenteller, Silberbesteck mit Hamburgwappen, Wasser-, Rotwein-, Weißwein-Gläser (Grün für die trockene Riesling-Spätlese, braun für den halbtrockenen Silvaner) sind längst eingedeckt. Die Servietten komplizierter gefaltet als ein japanischer Kiesgarten geharkt. Eine Woche dauerte das Kommando Falten, ausgestattet mit zwei Mann.

„Die Suppe ist fertig, die Gelatine und das Dessert sowieso“, hat Günter Liebert neun Stunden vor dem Festmahl die Ruhe weg. Liebert ist Chefkoch des Ratsweinkellers. „Bis gestern abend hatten wir die Hauptaufgaben erledigt.“Die Kartoffeln sind vorgekocht, das Gemüse blanchiert. Die Knollen werden heute abend kurz in Butter geschwenkt, das Grünzeug wird fertiggekocht und kommt mit frischem Biß auf 425 Teller.

„Etwa im November“hat sich Günter Liebert die ersten Gedanken über die Speisenfolge gemacht (kein Schweinefleisch zum Beispiel, um Moslems nicht in Verlegenheit zu bringen). Vor vier Wochen hat er die Zutaten bestellt. „Und vor zwei Tagen haben wir richtig angefangen.“Bis zu achtzehn Köche schnippelten, hackten und rührten. Rückmeldungen? „Bei dieser Veranstaltung noch nie.“Nur einmal, bei einem Staatsempfang, stieg ein Ehrengast in den Keller: Der französische Präsident François Mitterand dankte für den gelungenen Hummer. Durchschnittlichen Hausmännern gelingt das nie.

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