General mit deutschen Werten

Ein Bundeswehrgeneral a.D. verteidigt in seinem Buch „Wozu noch tapfer sein?“ Hitlers Krieg gegen Polen und beklagt, daß das deutsche Volk kein deutsches Volk mehr sein will  ■ Von Bettina Gaus

Bonn (taz) – Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof, der kürzlich mit einem Interview in der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit Aufsehen erregte, war bis vor zwei Jahren der ranghöchste Offizier in Niedersachsen. Jetzt hat der Zweisternegeneral ein Buch geschrieben: „Wozu noch tapfer sein?“ Darin rechtfertigt er den deutschen Angriffskrieg gegen Polen, würdigt Adolf Hitlers „Wirtschaftswunder“ und bezichtigt mehrere Widerstandskämpfer innerhalb der Wehrmacht des „Verrats an Deutschland“. Der Autor befaßt sich auch mit der Gegenwart. Schultze-Rhonhof hält den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, das Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ nicht zu verbieten, für eine grobe Verletzung der staatlichen „Treuepflicht gegenüber den Soldaten“. Er kommt zu dem Schluß: „Somit ist der Soldat von seinem Versprechen zur Treue frei. Die Treue ist zwar nach wie vor Soldatenpflicht nach dem Soldatengesetz, aber der Eid ist nun gelöst.“

So leicht ließ sich der Treueeid, den Offiziere der Wehrmacht geleistet hatten, aus Sicht des Autors nicht lösen. Der vergebliche Versuch von Generalmajor Hans Oster, 1939 mehrere Regierungen über den geplanten deutschen Einmarsch in ihre Länder zu informieren, sei „Verrat am eigenen Volk“ gewesen: „Oster war bereit, den Preis der Niederlage Deutschlands und des Lebens beliebig vieler Soldatenkameraden für den Sturz Hitlers und seiner Willkürherrschaft zu bezahlen. Ich kann General Osters Art des Widerstands nicht billigen.“

Vernichtend fällt das Urteil des Exgenerals auch über andere Widerstandskämpfer aus – und über die Kritik der Nachkriegsgeneration an der Wehrmacht. Der „Soldat von heute“ sollte einiges aus der Geschichte lernen. Zum Beispiel, „daß heute weite Teile des deutschen Volkes der Wehrmacht, mit der dieses Volk vor 60 Jahren in Übereinstimmung lebte, nach der Niederlage die Treue aufgekündigt hat. Das alles relativiert den Treueanspruch, den die Gesellschaft von heute an deutsche Soldaten stellen kann, erheblich.“

Die Gesellschaft von heute mißfällt Schultze-Rhonhof ohnehin. „Die 68er“ hätten all die Werte demontiert, „die Deutschland einst zum lebenswerten Land gemacht hatten“. Seit „Familie und Nation ihren Status als Wert verloren haben“, machten wir unsere Solidarität „an Zufallsbekanntschaften fest, an Chilenen, an Kurden und wem sonst auch immer“.

Die Entwicklung läßt den Offizier, der während seiner Laufbahn auch als Dozent an der Führungsakademie tätig und zuletzt als Befehlshaber des Wehrbereichs II und Kommandeur der 1. Panzerdivision in Hannover für etwa 50.000 Soldaten zuständig war, am Sinn seines Berufes zweifeln: „Ist das deutsche Volk, das zu Teilen nicht mehr ein deutsches Volk sein will, das Objekt meiner Hingabe und meines Schwures, notfalls mein Leben für es einzusetzen? Ist das deutsche Volk, das sich zunehmend seiner Identität schämt und das in Teilen einem Vermischungsideal anhängt, noch Gegenstand meines Eides? Ich persönlich würde mich einer durch und durch multikulturellen Gesellschaft nicht mehr so solidarisch verbunden fühlen, daß ich für sie ohne weiteres mein Leben hingeben würde.“ Anders ausgedrückt: „Wenn Deutschland und das deutsche Volk nicht Werte an sich sind, macht es auch keinen Sinn, Soldat der Bundeswehr zu sein.“

Derlei Sorgen kannten frühere Generationen nicht. Der „Rachefrieden von Versailles“ erklärt nach Auffassung von Gerd Schultze-Rhonhof „hinlänglich“, warum „unsere Väter und Großväter in die Kriege des braunen Diktators gezogen“ sind. Es war „einsichtig“, die Ergebnisse des „diktierten Vertrages von Versailles zu korrigieren“, und es war „richtig, die durch diesen Vertrag ausgegliederten deutschen Bürger wieder mit dem Mutterland zu vereinigen“. Die „Rolle des Bürgers“ sei damals so ähnlich wie heute gewesen: „Der Bürger muß heute zum Beispiel an der Umstellung seiner Währung zum Euro teilnehmen, selbst wenn er es nicht will und wenn er ein paar Gründe dagegen anführen kann.“

Der Angriff auf Polen habe nicht außerhalb der „Gepflogenheiten“ jener Zeit gelegen: „Polen hatte zu oft selbst mit dem Feuer des Krieges gespielt, um 1939 ein Gefühl des Bedauerns in Deutschland zu erregen. Außerdem hatte es, seitdem es wieder ein selbständiges Land geworden war, die Menschenrechte seiner ethnischen Minderheiten, darunter 1,3 Millionen Deutsche und 6 Millionen Ukrainer, so ungeniert mißachtet und verletzt, daß viele Menschen in Deutschland nur darauf gewartet haben, daß diesem Unrecht bald ein Ende gesetzt wurde.“

Auch die Judenverfolgung entsprach offenbar dem Zeitgeist: „In jener Zeit waren in vielen Ländern der westlichen Hemisphäre ein mehr oder weniger zutage tretender Rassismus und ein gewisser Herrenmenschendünkel üblich, in den USA gegenüber den Mitbürgern schwarzer Hautfarbe, in England, Frankreich, Belgien, Holland und Dänemark gegenüber den andersfarbigen Bürgern in den Kolonien.“

Gerd Schultze-Rhonhof hat bereits mehrfach mit eigenwilligen Ansichten von sich reden gemacht. Seine öffentliche Richterschelte nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts zum Tucholsky- Zitat und seine ungewöhnlich harsche Kritik an der Verkürzung der Wehrdienstdauer von zwölf auf zehn Monate führten zum offenen Konflikt mit Verteidigungsminister Volker Rühe. Der damals 56jährige General bat um seine Versetzung in den Ruhestand.

In der Presse wurde seine Zivilcourage gelobt. Schultze-Rhonhof gefiel auch dem niedersächsischen Ministerpräsidenten: „Ihre Aufrichtigkeit und Gradlinigkeit könnte als Beispiel dienen für die ganze Gesellschaft“, sagte Gerhard Schröder bei der Verabschiedung des Offiziers 1996. Der hielt sich gar nicht für so mutig: „Was hätte mir groß passieren können“, zitierte ihn die Hannoversche Allgemeine im März 1996. „Schlimmstenfalls hätte ich mich auf meine Pension zurückgezogen.“

Dem Verteidigungsminister stehen auch nach dem Ausscheiden eines Soldaten aus der Bundeswehr disziplinarrechtliche Möglichkeiten offen. Ob er sie nutzt, ist fraglich. Immerhin hat der baden- württembergische Verfassungsschutz gerade erst bedauert, Schultze-Rhonhof rechtsextremen Kreisen zugeordnet zu haben.

Mitte Februar hatte die Behörde erklärt, der ehemalige Generalmajor bewege sich darin regelmäßig. In der letzten Woche zitierte die Braunschweiger Zeitung jedoch ein Schreiben von Behördenleiter Helmut Rannacher, wonach der Verfassungsschutz darüber keine Erkenntnisse habe. Schultze-Rhonhof sei lediglich Interviewpartner der „rechtsextremistischen Einflüssen unterliegenden“ Zeitung Junge Freiheit gewesen. Kommentar Seite 12