: Ich werd' dem doch nicht auch noch das Ticket nach Bonn bezahlen
Ich finde, daß der Gerhard Schröder seine Sache in Niedersachsen ziemlich gut macht. Jedenfalls ist er mir allemal lieber als der Glogowski. Deswegen habe ich auch nicht die SPD gewählt, sondern die Grünen. Ich will Schröder als Ministerpräsidenten behalten. Da werd' ich ihm doch nicht auch noch das Ticket nach Bonn bezahlen.
Mit der Stimme für die Grünen habe ich außerdem gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich bin für die Große Koalition in Bonn. Dafür muß zum einen der Lafontaine Kanzlerkandidat werden, und zum anderen dürfen die Grünen nicht zu stark werden. Wenn sie jetzt bei Landtagswahlen gut abschneiden, dann glauben ihre Anhänger, daß die sowieso dazugewinnen und es nicht mehr so drauf ankommt. Das ist vor allem dann toll, wenn am Wahltag die Sonne scheint. Darauf habe ich allerdings leider keinen Einfluß.
Anneliese ist sauer auf mich. Die will nämlich unbedingt Rot- Grün im Bund und hat deshalb FDP gewählt. Es war doch früher immer dasselbe, hat sie mir vorher erklärt. Bei allen Landtagswahlen hat die FDP verloren, und dann haben die Leute Angst um sie gekriegt und wohl auch Mitleid und sie bei den Bundestagswahlen über die Fünfprozenthürde gehoben. Dieses Mal wäre das besonders blöd, sagt Anneliese. Weil Rot-Grün nur klappen kann, wenn SPD und Grüne mehr Mandate haben als Union, FDP und PDS zusammen. Wenn die FDP reinkommt, ist das nicht zu schaffen. Und gegen den Mitleidseffekt hilft nur eins: die FDP in den Ländern stärken. Hat sie gemacht. Aber Anneliese tut sich da auch leicht. Die zieht demnächst weg aus Niedersachsen.
Gar nicht glücklich hat Manfred in letzter Zeit ausgesehen. Ja, natürlich sei er immer noch CDU-Anhänger, hat er mit schwerer Zunge beteuert. Er gehöre nicht zu denen, die ihre Freunde in der Stunde der Not im Stich ließen.
Bloß, er fragt sich halt, wen er da eigentlich gerade nicht im Stich läßt. Erst hat er gedacht, daß eine Stimme für Wulff eine gegen Kohl ist, weil der Wulff doch schließlich auch mal gegen den Kanzler und ganz kritisch und jung und wild gewesen ist. Aber dann ist der Wulff gealtert und war plötzlich nicht mehr wild, sondern hat sich mit Kohl fotografieren lassen.
Manfred kann aber Kohl nicht mehr sehen und will lieber Schäuble. Damit in der CDU doch noch eine Kandidatendebatte in Gang kommt, muß die erst kräftig verlieren, meint Manfred. Deswegen wollte er SPD wählen. Ob er's gemacht hat, weiß ich nicht. Seit gestern läuft bei ihm nur der Anrufbeantworter. Vielleicht ist ihm in der Wahlkabine die Hand verdorrt.
Leider kenne ich keine FDP- Wähler. Aber Regina hat einen Freund, der mit jemandem zusammenarbeitet, der eine Cousine hat, die sogar FDP-Mitglied sein soll. Die hat in Niedersachsen angeblich CDU gewählt. Damit die CDU-Anhänger bei den Bundestagswahlen keine Angst haben, der FDP ihre Zweitstimme zu geben. Ganz schön clever. Ich meine, für ein FDP-Mitglied.
Der einzige Spielverderber in meinem Freundeskreis war Thorsten. Der ist gar nicht hingegangen zur Wahl. Hat statt dessen rumgetrötet, daß er das einen Skandal findet, wenn es hier bei Landtagswahlen zugeht wie bei primaries in den USA. Von Schwächung der Demokratie und des Föderalismus hat er gefaselt und daß wir alle schon noch sehen werden, was wir davon haben. Und ob wir Länderkompetenzen wie Bildungspolitik, Umgang mit Asylbewerbern oder Innere Sicherheit so unwichtig finden, daß das bei unserer Entscheidung überhaupt keine Rolle spielt. So was von öde. Aber man darf es Thorsten nicht übelnehmen. Der Mann versteht nichts von Politik. Protokoll: Bettina Gaus
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