Spagat auf dem Königsweg

■ Mit kalkulierten Experimenten will Oldenburgs Intendant Stephan Mettin wieder mehr Publikum ins Staatstheater locken

Unter dem Eindruck zahlreicher Abo-Kündigungen ist der Intendant des Oldenburgischen Staatstheaters, Stephan Mettin, auf der Suche nach dem Königsweg. Die Preisfrage lautet: Wie kann ich Neues wagen, ohne das Alte aufs Spiel zu setzen? Die Lösung: Ein Spagat, der allerdings einen großen Sprung nach vorn unmöglich macht. Im großen Haus haben Mettin und Co den Blick auf das Oldenburger Publikum gerichtet. Und das will Erbauliches und Erfreuliches und bitte nicht so sehr gestört werden. Um diese Erkenntnis versucht sich Mettins Spielplan für die Saison 1998/99 herumzulavieren.

Mit Sophokles „König Ödipus“soll am 2. Oktober das neue kleine Haus seine Pforten öffnen. Mettin will durch die neue Spielstätte den Anteil von frei verkauften Karten erhöhen und so ein Publikum jenseits der eher konservativen AbonnentInnen ins Staatstheater locken. Entsprechend sieht das weitere Angebot aus: „Trainspotting“in der Bühnenfassung von Irving Welsh als Zeitkritik für die jüngeren ZuschauerInnen. Und unter dem Arbeitstitel „Poetisches Theater“wird laut den Prinzipien Peter Brooks ein Stück entwickelt, das nach den Bedingungen von Theater fragt. Ein Experiment also – auch mit dem Publikumsgeschmack.

„Charleys Tante“, „Rocky Horror Show“: Die Spielplanpositionen zeigen, daß das Große Haus eher der leichteren Kost vorbehalten bleiben soll. Die kann gleich mehrfach gezeigt werden – und soll die Verluste bei den Abos ausgleichen. Mettin setzt auf Tschechows „Möwe“und Schillers „Räuber“. Mit „Der Drache“, einer Märchenkomödie von Jewgenij Schwarz, wird die Balance von Amusement und Sozialkritik versucht.

Dagegen ballen sich am Oldenburger Opernhimmel dunkle, wagnerische Wolken: Mit der „Götterdämmerung“, dem dritten Tag im Ring der Nibelungen, will Claes Fellbom die Kernfragen des Zyklus um Liebe und Macht inszenieren. Offen ist noch die Wahl einer zeitgenössischen Oper vom Kaliber von Adriana Hölskys „Wände“, deren Inszenierung bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte.

Von einem Liebling wird sich das Oldenburger Publikum trennen müssen: Ballettdirektorin Ingrid Collet hat sich verabschiedet. Ihre aus Leipzig kommende Nachfolgerin Irina Pauls hat das Tanzensemble gründlich durchforstet. Fünf TänzerInnen durften bleiben, drei bringt sie aus Leipzig mit.

Die sinnliche Leibsprache der Choreographin soll mit der Uraufführung „Moor“am 30. Oktober dem Publikum eine unmittelbare, bildhafte Berührung mit den Urgründen der norddeutschen Landschaft ermöglichen. Ein Lichtblick für alle Tanzfans, die inzwischen auch von der „Kulturetage“nur noch selten mit hochkarätigen und daher teuren Gastspielen verwöhnt werden.

Wenigstens im Kindertheater bahnt sich jetzt eine bundesweit einmalige Zusammenarbeit zwischen Staatstheater und freier Szene an. Gemeinsam mit dem „Widu Theater“, dem „Theater Winfried Wrede“und der „Kulturetage“soll für zunächst zwei Jahre in der „Fabrik Rosenstraße“ein fester Ort für Kindertheater entstehen. Die AbonnentInnen von morgen sollte man sich rechtzeitig heranziehen.

Marijke Gerwin