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Vorträge über Gott und die Welt

Am Anfang stand das „wissenschaftliche Theater“. 110 Jahre nach ihrer Gründung betreibt die Urania immer noch die Popularisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen  ■ Von Ralph Bollmann

Auf die Frage nach dem Programmheft der Urania weist die Kulturredakteurin nur auf den Papierkorb. „Ich glaube, das habe ich gleich entsorgt“, sagt sie ohne wirkliches Bedauern, „da geht von uns sowieso niemand hin.“ In ihrer Stimme schwingt Verwunderung: Unter Berlins Kulturbeflissenen ist die Urania, die gestern 110 Jahre alt wurde, alles andere als chic.

Doch das, worüber manch Intellektueller die Nase rümpft, ist gerade die Stärke der „Deutschen Kultur-Gemeinschaft Urania“: die Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnis. Selbst für Nobelpreisträger sei es geradezu „eine Ehre, an der Urania zu sprechen“, meint Direktor Ulrich Bleyer. Die Forscher hätten hier die Gelegenheit, die neuesten Ergebnisse ihrer Arbeit einer Öffentlichkeit zu präsentieren, die sie mit ihren Steuergeldern finanziert.

Der astronomisch-naturwissenschaftliche Schwerpunkt der Anfangszeit ist längst nur noch ein Aspekt unter mehreren. Am Populärsten sind nach Bleyers Erfahrung Vorträge, die „Lebensprobleme der Menschen bewältigen“. Neben psychologischen Themen, wie der „Kunst, sich selbst zu lieben“, zählen dazu auch die großen Sinnfragen, die der Stammgast Eugen Drewermann gern aufwirft. „Langfristig herauszuspüren, was die Interessen der Leute trifft“, das ist Bleyers Aufgabe, wenn er das Programm immer für ein Jahr im voraus plant. Manchmal liegt er auch daneben, so mit einem Vortrag über die Gefahren des Mobilfunks, für den sich nur 80 Zuhörer interessierten. Vielleicht sind Handys unter Urania-Besuchern noch nicht sonderlich verbreitet.

Bei der Auswahl der Referenten ist dem habilitierten Physiker Bleyer, der zu DDR-Zeiten am Potsdamer Zentrum für Astrophysik arbeitete und die Urania seit 1995 leitet, die fachliche Qualifikation im Zweifel wichtiger als die Redebegabung. Schließlich scheut das Urania-Publikum vor scharfen Nachfragen nicht zurück, die einen Redner durchaus mehr ins Schlingern bringen können als die artigen Diskussionsbeiträge in akademischen Seminaren.

Mit ihren Eintrittsgeldern und Mitgliedsbeiträgen leisten die rund 150.000 jährlichen Besucher der Eigenveranstaltungen auch den größten Beitrag zur Finanzierung. Hinzu kommen Einnahmen aus der Saalvermietung, Lottogelder und die Bereitschaft der Referenten, sich mit dem „bescheidenen“ Honorar als „Dankeschön“ zu begnügen, auf das viele sogar verzichten. Die öffentlichen Zuschüsse, die niemals mehr als acht Prozent ausmachten, hat die Urania seit 1993 verschmäht. „Deshalb sind wir in der glücklichen Lage, daß uns nichts mehr weggespart werden kann“, freut sich Bleyer.

Schon bei ihrer Gründung vor 110 Jahren sicherte das Aktienkapital von 205.000 Mark der Einrichtung ihre finanzielle Unabhängigkeit. Als Namenspatronin mußte Urania herhalten, die unter den neun Musen für Astronomie zuständig ist. Doch hat sich die öffentliche Sternwarte inzwischen ebenso verselbständigt wie das physikalische Museum, das im ersten Gebäude an der Invalidenstraße untergebracht war.

Vorläufer des heutigen Vortrags- und Kinobetriebs war hingegen das „wissenschaftliche Theater“, das moderne Naturerforschung ins architektonische Gewand eines plüschigen Gründerzeit-Theaters zwängte. Das zweite, nicht weniger prachtvolle Gebäude an der Taubenstraße mußte die Urania in den zwanziger Jahren verkaufen. Weit prosaischer nimmt sich der Neubau von 1962 aus. Die Themen aber sind so umfassend wie eh und je. „So ist das Leben“, hieß ein Film in den zwanziger Jahren. Und demnächst spricht Eugen Drewermann wieder über „Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott“.

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