■ Querspalte: Verfallene Hostien
Die Brüsseler Eurokraten haben Italien angemahnt, die Kennzeichnungspflichten aller zum Verzehr bestimmten Gegenstände ernst zu nehmen. Italiens Schreibtischtäter gehorchten umgehend. Beim Durchforsten all dessen, was sich so alles zum Verzehr eignet, stießen sie auf die Kommunion beziehungsweise das Abendmahl in der christlichen Kirche. Hier wird etwas verabreicht, was eindeutig als „Verzehrgegenstand“ einzuordnen ist und deshalb ein Verfallsdatum tragen muß: die Hostie. Und dies Verfallsdatum, das muß der Konsument, mithin der Gläubige, auch auf der geweihten Oblate erkennen können.
Doch damit nicht genug. Die europäischen Nahrungsmittelgesetze, das haben Italiens Bürokraten bei genauem Studium herausgefunden, verlangen zudem, daß bei jedem Lebensmittel der Hersteller erkennbar ist. Normalerweise genügt dafür die Firmenmarke auf der Packung. Doch die Hostie ist ja nicht verpackt, sondern einzeln verabreicht. Also muß das Firmenemblem auf das Stück Oblate geprägt werden, auf daß der Hostienesser dies verifizieren kann.
Die Probleme, die auf die Pfarrer zukommen, sind beträchtlich. Da will der Priester dem frommen Menschen gerade die zum Leib Christi gewordene Stück Oblate in den Mund schieben – da setzt der Gläubige erst mal seine Brille auf, dreht die Hostie hin und her und reicht sie zurück mit der Bemerkung: „Diesen Leib Christi ess' ich nicht, der ist ja schon verfallen.“ Den Ausweg, die Oblaten durch konservierende Mittel dauerhaltbar zu machen, haben die Lebensmittelwächter schon versperrt: Derlei Beimengung ist nämlich auch kennzeichnungspflichtig.
Das vom Vatikan dagegengehaltene Argument, demzufolge die Hostien auf der ganzen Welt nach ein und demselben Rezept gebacken werden, ruft sogleich andere Wächter aus Brüssel auf den Plan. Sie wittern hier den Aufbau eines Monopols, das im Hinblick auf den freien Wettbewerb auf keinen Fall hingenomen werden kann. Werner Raith
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen