: Die Kritikerin der Spießer
Mit 26 Jahren verließ Ida Boy-Ed ihre Familie, um in Berlin Schriftstellerin zu werden ■ Von Kai Dohnke
Im Herbst 1878 fährt eine junge Frau von Lübeck nach Berlin, an der Hand ihr ältestes Kind, den Kopf voller Ideen. 26 Jahre ist sie alt, die Kaufmannsgattin Ida Boy-Ed, als sie vor der Enge ihres Lebens in die Schriftstellerei flieht. In Deutschlands literarischer Hauptstadt knüpft die Autorin Kontakte und erzielt erste Erfolge. Doch im Frühjahr 1880 zwingt ihre Familie sie nach Lübeck zurück.
Aber Ida Boy-Ed hat eine andere Welt kennengelernt; der erzwungene Schritt zurück zur Familie, in die dumpfe Spießerstadt kann ihren Schreibwillen nicht bremsen. Denn sie hat erkannt, daß ihre Chance genau in der Vermittlung zwischen beiden Welt liegen könnte. Schon in den frühen Erzähltexten widmet sie sich den „Schiefheiten in der Stellung der Frau“, und von ihrem ersten Buch, der 1882 erscheinenden Novellensammlung „Der Tropfen“, meinen besorgte Kritiker, Eltern sollten es vor ihren Töchtern verbergen.
Die Lübecker Gesellschaft nimmt von ihren Veröffentlichungen keine Notiz. Daß auch ihr Mann sich nicht für ihre Arbeit interessiert, ist für Ida Boy-Ed nur ein geringes Problem: Es sei ihr „immer gleichgültig gewesen, was die Leute sagen. Die Leute sind doch nie einverstanden, also warum soll man Rücksicht nehmen?“
Nach Lübeck kam Ida Ed 1865, weil ihr Vater dort eine Zeitung verlegte. Geboren wurde sie 1852 in Bergedorf. 1870 heiratete sie den Kaufmann Carl Johann Boy und bekam vier Kinder. Doch ihre Kreativität, ihre Fabulierfreude konnte der bürgerliche Alltag nicht ersticken. Und die Begegnung und heimliche Beziehung mit dem Schriftsteller Michael Georg Conrad bringt der jungen Autorin endlich auch Bestätigung.
Trotz ihrer familiären Aufgaben entfaltet Ida Boy-Ed eine rege literarische Produktion: Bis zu ihrem Tod im Mai 1928 entstehen fast 70 Bücher sowie Unmengen von Novellen, Fortsetzungsromanen und Glossen. Erst der Erfolg läßt ihr Ansehen in Lübeck steigen; in späten Jahren gilt sie dort als große alte Dame der Literatur. Und weil sie schließlich Geld damit verdient, akzeptiert auch ihre Familie endlich Idas Betätigung.
Mögen ihre Werke auf den ersten Blick zuweilen trivial wirken oder sich äußerlich am Geschmack der Zeit orientieren – stets sind sie der Schilderung der Wirklichkeit verpflichtet, wie sie eben war, jenseits und trotz aller bürgerlichen Bestrebungen, das Leben einzuschränken und zu reglementieren. Mit psychologischem Einfühlungsvermögen und klarem Blick für die sozialen Regeln zeichnet Ida Boy-Ed immer neue Bilder der bürgerlichen Gesellschaft, in der oft die Bedürfnisse der weiblichen Hauptfiguren mit den Bedingungen der Realität kollidieren.
Zum größten Wurf wird 1910 der Roman „Ein königlicher Kaufmann“, der die Lübecker Patrizierwelt schildert. Bedeutende Biographien verfaßt sie über Charlotte von Kalb (1912), Charlotte von Stein (1916) und Germaine de Staäl (1921). Dennoch ist Boy-Eds Werk heute in Vergessenheit geraten.
Ida Boy-Ed, Lübeck – der Gedanke an Thomas Mann liegt nicht fern. Und tatsächlich hatten beide miteinander zu tun; die große Erzählerin förderte den literarischen Debütanten. Doch das ist in Boy-Eds Leben ein eher nebensächliches Kapitel.
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