Der Furz der Inflation

Die Deutschen und ihre Angst vor dem Euro. Wovon wir reden, wenn wir von seiner Stabilität oder Schwäche reden  ■ Von Wolfgang Harsch

„Das vergangene Jahr“, hieß es kürzlich im Themenheft von Spiegel-Spezial, „hat eine Gewißheit gebracht: Der Euro kommt. Und eine andere, nicht gänzlich gewisse: Er wird ein weiches Ei. Er wird so, wie die Bundesbank oder Helmut Kohl sich das in ihren Träumen ausgedacht haben, nicht funktionieren. In keinem Fall, das ist jetzt schon klar, wird er so stabil wie die Mark. Das hat politische Ursachen, nicht so sehr ökonomische.“

Über den Euro, so der Herausgeber, soll die deutsch-französische Erbrivalität ausgetragen werden. Man will „uns finanziell und wirtschaftlich schwächen, und wir sollen da noch freudig mitwirken“. Ein englischer Historiker sekundiert und ist „ziemlich fassungslos über den teutonischen Euro-Furor, der mit geradezu masochistischer Lust die Mark zugunsten einer neuen, unsicheren Kunstwährung opfert: ,Ich habe zwar großen Respekt vor der Bundesbank, aber ich begreife einfach nicht, daß man die harte Mark, die man sich doch in jahrzehntelanger mühevoller Aufbauarbeit geschaffen hat und die Teil der nationalen Identität geworden ist, für eine Fata Morgana opfern will.‘“

So viel wird hier schon klar, die Euro-Ängste, aber auch die Euro- Wünsche kreisen ununterbrochen um die Alternativen hart oder weich, stark oder schwach, stabil oder instabil, sicher oder unsicher. Deshalb wird zur Beruhigung immer wieder betont, daß es sich bei der Einführung des Euro um eine Währungsumstellung, nicht um eine „neue Währungsreform“ handelt. Aber nach Auffassung des Spiegel belebt bei der Mehrheit der Deutschen die „Abschaffung der Mark ... die Angst vor einer neuen Inflation“. Diese „Angst vor der Geldentwertung“ sei „ein zutiefst deutsches Trauma, genährt durch zwei Inflationen in diesem Jahrhundert, von denen im Abstand von nur 25 Jahren ein und dieselbe Generation gepeinigt wurde. Und allen Inflationen ist eines gemein: Sie treffen nicht den Besitzer von Sachwerten, von Immobilien oder Unternehmen, sondern den Sparer – also den kleinen Mann, egal, ob er seine Spargroschen auf der Bank oder im Strumpf daheim aufbewahrt hat.“

Die Angst vor dem Euro ist also letztlich die Angst vor einer neuen Inflation, und diese wird besonders von dem „kleinen Mann“ gefürchtet, der sein nationales Identitäts- und Selbstwertgefühl nach den verlorenen Kriegen auf der globalen Kaufkraft der Deutschen Mark aufgebaut hat. Ein inflationärer Wertverfall würde deshalb mit einem Verfall seines nationalen Selbstwertgefühls einhergehen. „Deutschlands Große“ dagegen, „von der Allianz über Siemens bis zum Volkswagen-Konzern, sind durchweg für die neue Währung“. Sie vertrauen „auf die einigende Macht des Geldes“.

Inflationen werden meist durch die Veränderung der elementaren Tauschbeziehung Brot gegen Geld illustriert: Im September 1923 „kostete ein Kilogramm Brot noch 274.000 Mark, drei Wochen später aber schon drei Millionen“. Der Höhepunkt der inflationären Entwicklung ist erreicht, wenn sich der Geldwert verflüchtigt hat und sich Brot nicht mehr kaufen läßt. Inflation kommt von inflatus = aufgebläht und ist wie so manch anderer wirtschaftlicher Begriff aus der Medizin übernommen. In der Inflation hat sich das Geld aufgebläht, ist also nur noch ein flatus, das heißt einen Furz wert. Von dieser analen Verflüchtigung ausgehend, bekommen die Eigenschaften des Geldes hart, fest, weich, flüssig usw. eine anale Bedeutung.

Auf dem Höhepunkt der Inflation zeigt sich der anale Charakter des Geldes offen. Der Schriftsteller Hans Werner Richter war in der Nacht auf den 20. Juni 1948, also „bei der Reichsmarkdämmerung in ein feuchtfröhliches Gelage geraten. Als er mal raus mußte, fand er statt Klopapier ,Tausendmarkscheine ... wohl ein Dutzend‘. Andere Geldscheine lagen auf dem Boden, anscheinend aus vielen Taschen davongeflattert: ,Es war ein seltsamer Anblick.‘ Richter folgerte: ,Eine Zeit verabschiedete sich auf diese Weise.‘“

Geschäftsleute hielten ihre Ware zurück, in manchen Bäckereien gab es Brot nur pfundweise. Gemüseläden waren leer, Gärtner ließen Kopfsalat und Karotten lieber verroten, als sich die Mühe zu machen, sie gegen bald wertloses Geld zu verschleudern. Am Tag nach der Währungsreform waren die Läden plötzlich wieder voll. „,Woher um Gottes willen‘ das alles gekommen sei, grübelte die Schauspielerin Marianne Hoppe: ,Wo waren sie gelagert gewesen, die Flaschen, die Säcke, die Packungen, die Ballen? Wer hatte die Schlüssel in der Hand, die Tür zu öffnen zu diesem Reservoir?‘“

Das „Trauma der Inflation“ läßt sich so beschreiben: Auf der einen Seite das Reservoir von Waren, letztlich von Eßwaren, und auf der anderen Seite Geld, das seine Kaufkraft verloren hat. Es hat sich so aufgebläht, daß es wie (Scheiß-) Dreck behandelt wird. Es ist selbst zum Beschiß geworden und hat seine Schlüsselgewalt über die Eßwaren verloren. In kaum einer Geldpublikation fehlt die Anspielung auf Freud und den von ihm „postulierten Zusammenhang zwischen Kapital und Kinderkacke“. Diesen Zusammenhang hatte Freud zwar so nicht hergestellt, aber er hatte, angeregt durch Märchen, Aberglauben und Folklore und natürlich auch die Einfälle seiner Patienten, erkannt, daß die Menschen unbewußt Kot und Geld gleichsetzen, zum Beispiel in der Figur des Dukatenscheißers. Daraus schloß er, daß das Geld ein Kotsymbol sei. Etwa um die Zeit der ersten Inflation 1923 waren in Berlin die Psychoanalytiker Abraham und Roheim weitergegangen. Sie führten die symbolische Gleichung Geld = Kot auf die ursprüngliche menschliche Tauschgleichung Muttermilch = Kinderkot zurück. Tatsache ist, daß der Kot eines Säuglings, der mit Muttermilch genährt wird, geruchlos (pecunia non olet), von goldener Farbe und von goldähnlicher, weicher Konsistenz ist.

Vermutlich wurde da Gold unbewußt nach dem Vorbild des goldenen Kinderkots als Geldmaterial par excellence ausgewählt. So wie der goldene Kinderkot dem Kind ein „goldenes Zeitalter“ zu ermöglichen schien, in dem es arbeitslos wuchs und gedieh, so wurde im Erwachsenenalter vom Gold und historisch später von den immer abstrakter werdenden Goldsubstituten ein „neues goldenes Zeitalter“ erwartet. Ein ewig währender und wachsender Geldwert sollte durch seine Kaufkraft die verlorenen infantilen Bedürfnisbefriedigungen und Wunscherfüllungen wieder ermöglichen.

Nach der psychoanalytischen Traumtheorie wirkt ein Trauma stärker, wenn es unbewußt als Wiederholung eines Kindheitstraumas erlebt wird. Ein traumatischer Tiefpunkt in der Mutter- Kind-Beziehung ist erreicht, wenn die Mutter dem Kind ihr Milch- oder Brustreservoir verschließt und damit das kindliche Kotgeld seinen Tauschwert verliert. Indem das Kind gezwungen wird, normale Eßwaren zu sich zu nehmen, verliert sein Kot den Goldcharakter und gleicht zunehmend dem ordinären Erwachsenenkot. Da das Kind außer seinem entwerteten Kotgeld nichts besitzt, wird dem „kleinen Mann“ seine Ausgeschlossenheit aus dem goldenen Zeitalter und seine Ohnmacht traumatisch bewußt. Bei dem vielbeschworenen Inflationstrauma der Deutschen werden also unbewußt Ängste aus dem infantilen Entwöhnungstrauma wiederbelebt.

Auf die Frage, ob „nicht Euro- Psychologen die EU-Bürger sanft ins neue Währungszeitalter geleiten“ sollten, antwortet die italienische EU-Kommissarin Bonino: „Selbstverständlich. Seit Freud wissen wir, daß Sex und Geld zwei Säulen des Psychohaushalts sind. Die Währung ist nicht nur ein technisches Instrument, sie sorgt auch für kulturelle Identität, für Wertgefühle und ist soziales Bindemittel. Ich glaube, daß Psychologen für ein neues Urvertrauen in die neue Währung sorgen müssen.“

Zwar wird man die Behauptung „Sex und Geld gehören zusammen“ bei Freud nicht finden, aber durchaus die Alternative „Geld oder Liebe“. Nach der normativen Freudschen Sexualtheorie ist die erwachsene Genitalerotik auf Personen des anderen Geschlechts gerichtet. Dagegen handelt es sich bei der Geldliebe unbewußt um Analerotik, die sich autoerotisch um das Geld als Ersatz für den magischen, kindlichen Kot dreht.

Sowohl Urvertrauen (Erikson) als auch genitale Liebe (Freud) entwickeln sich aus der frühen Mutter-Kind-Beziehung. Sie beziehen sich auf Personen, nicht auf Dinge. Allerdings besitzen diese Personen, allen voran die Mutter, die für das Kind lebensnotwendigen Dinge. Wenn diese Dinge, als erstes die Milch, dem Kind bei Bedarf großzügig zur Verfügung gestellt werden, kann auch das Kind in seinen Kotgaben, später Geldgaben, großzügig werden. Urvertrauen in stabiles Geld kann es deshalb, psychoanalytisch gesehen, nicht geben. Urvertrauen wird es nur in stabile gesellschaftliche Beziehungen als unbewußte Fortsetzung der Eltern-Kind-Beziehung geben. Ob diese eher durch „Weichheit“ oder durch „Härte“ geprägt sind, bestimmt letztlich die Gesellschaft.