: 0 Toleranz + 17.000 Verhaftungen = 1 Nummer
■ New Yorks Bürgermeister Giuliani frisiert seine Erfolgsbilanz mit fragwürdigen Massenverhaftungen. Dealer satteln vom Straßenverkauf auf telefonischen Hauslieferservice um
Noch vor einem halben Jahr konnten die New Yorker Hascher trotz größerer Polizeipräsenz relativ problemlos am Washington Square einkaufen (tazSpezial HANF, Sept. 97). Mittlerweile hat Rudolph Giuliani, der Bürgermeister und Durchgreifer der Metropole, noch einen draufgesetzt.
Im Oktober letzten Jahres, in der heißen Phase des Wahlkapfes um den Posten des Bürgermeisters, kündigte Giuliani an, Drogen und Drogendealer rigoros aus dem Stadtbild zu radieren. Der Washington Square, bis dahin einer der zentralen Plätze, an denen Kleinhändler und Endverbraucher des Cannabismarktes zusammenkamen, wurde vergangenen Oktober exemplarisch zur drogenfreien Zone erklärt. Giulianis griffige Losung: „Überall in unserer Stadt, in jeder Gemeinde, werden wir zusammen daran arbeiten, New York City Block für Block, Park für Park und Schule für Schule von Drogen und Drogendealern zu säubern.“ Das hat seine guten Gründe: Nicht zuletzt seien 70 Prozent der amerikanischen Gefängnisinsassen Drogenkonsumenten.
Durch mehr Polizeipräsenz, Überraschungsaktionen und Kameraüberwachung solle vor allem den Wiederholungstätern unter den Händlern das Handwerk gelegt werden. Zuvor verurteilten Händlern, die nun auf Bewährung wieder draußen sind, solle der Zugang zum Park verwehrt werden. Giuliani verweist dabei auf den Fall eines Marihuanahändlers, der inzwischen stolze 75mal auf dem Washington Square festgenommen wurde und immer wieder nach kurzer Zeit auf freien Fuß gesetzt wurde.
Giulianis Kritiker bemängeln, daß den großen Fischen unter den Händlern dabei kaum das Handwerk gelegt werde. Vielmehr müßten Haschischkonsumenten dafür herhalten, die Statistiken aufzupeppen. Als symptomatisch wird dabei eine Großaktion angesehen, bei der kurz vor den Bürgermeisterwahlen Polizisten in Zivil Marihuana angeboten haben: Nach Berichten der linken Wochenzeitung Village Voice gingen auf dem Washington Square innerhalb weniger Tage 72 Kaufwillige ins Netz, einer sei Dozent der nahegelegenen New York University gewesen.
In den Pressemitteilungen der New Yorker Polizei sowie auf deren Homepage werden Konsumenten und Dealer in der Regel nicht getrennt aufgeführt: Hier ist lediglich von „drug-related arrests“ die Rede – Festnahmen im Zusammenhang mit Drogen. So unken denn auch New Yorks Hanf-Lobbyisten, es sei für einen Polizisten einfacher, einem schmachtenden Gelegenheitsraucher ein paar Gramm aufzuschwatzen, als einem kapitalen Heroinschmuggler ein Bein zu stellen. Auch im Kampf gegen Drogenkriminalität wird der Erfolg in erster Linie in Zahlen gemessen.
Nach Statistiken des New York State Department ist die Zahl der Verhaftungen für Marihuanabesitz von 1992 bis 1996 um 700 Prozent angestiegen. 1990 war mit 3.350 die Zahl der verhafteten Marihuanahändler noch doppelt so hoch wie die der Verhaftungen für Marihuanabesitz. Zwar ist in beiden Fällen die Zahl der Verhaftungen in den letzten Jahren angestiegen, aber gleichzeitig hat sich das Verhältnis umgekehrt: Im vergangenen Jahr standen schätzungsweise 7.500 Verhaftungen wegen Handels geschätzten 17.000 Verhaftungen wegen Besitzes gegenüber. Und mit einer Verhaftung für Marihuanabesitz hat es sich dann auch in vielen Fällen: Die meisten Verfahren werden noch am selben Tag von den zuständigen Richtern eingestellt. Selbst wer einen weniger gnädigen Richter erwischt, kommt in der Regel mit einem Bußgeld nicht über 150 Dollar davon. So recht als Verbrecher mag die New Yorker Justiz Haschischraucher einfach nicht einstufen – aber solange der Bürgermeister seine 17.000 Verhaftungen hat, soll ihn das nicht weiter stören.
Das Konzept der drogenfreien Parks wurde noch vor der Wahl im November gleich auf weitere sechs Standorte in den übrigen Stadtteilen ausgeweitet. Durch die ständige Polizeipräsenz hat der Bürgermeister zumindest eines seiner Ziele erreicht: Der Marihuanaverkauf ist tatsächlich weitgehend von einem seiner bekanntesten Schauplätze, dem Washington Square, gründlich verdrängt worden.
Nach der Trockenlegung der Parks reagieren freilich die Märkte flexibel. Üblicherweise bedeutet das, daß die Haschischdealer auf andere Standorte ausweichen. Zum Nachteil der Käufer sind diese in der Regel bei weitem nicht so sicher, wie es der belebte Washington Square war: Statt auf einem übersichtlichen Platz einkaufen zu können, werden die Geschäfte jetzt in Nebenstraßen und dunklen Ecken abgewickelt. Betroffen sind davon letztlich vor allem Auswärtige. Ortsansässigen eröffnen sich im Dienstleistungsland USA hingegen zunehmend neue Wege, um an das gewünschte Konsumgut zu gelangen.
Rick North (Name geändert), der bei einer der großen New Yorker Plattenfirmen angestellt ist, läßt sich sein Gras neuerdings frei Haus liefern. Auf einer Visitenkarte steht der Name des Händlers sowie eine Piepernummer mit dem Hinweis: „Sie rufen an – wir liefern“. Martin Kaluza, New York
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen