piwik no script img

Doch keine Piranhas in der Wanne

Wenn Getränkedosen aus Fußballfeldern emporwachsen, dann ist das virtuelle Werbung. Solcherlei Reklame, die es in Wirklichkeit nicht gibt, soll es in Deutschland vorerst nicht geben – falls man es kontrollieren kann  ■ Von Georg Löwisch

Aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen. Doch der gibt ab, und – nanu, eine lila Schokoladenkuh stoppt den Ball. Und versenkt ihn im rechten oberen Toreck.

Fernsehkunststückchen dieser Art werden hierzulande nirgends praktiziert, wären jedoch technisch möglich. Virtuelle Werbung nennt sich die Zauberei. Bei Live-Übertragungen können per Computer unmerkbar stehende oder bewegte Bilder beigemengt werden, die am Ort des Geschehens gar nicht existieren. In einigen südamerikanischen Ländern ist derlei ganz normal. Da wird die Bandenwerbung bei Fußballspielen für die Fernsehzuschauer ausgetauscht, während sie im Stadion dieselbe bleibt. Und es kommt schon mal vor, daß in der Pause aus dem Mittelkreis eine dreidimensionale Cola-Dose wächst.

Auch in Europa wird seit einiger Zeit mit virtueller Werbung herumprobiert. Von einer spanischen Radrundfahrt gab es 1995 zwei Werbevisionen. Vor Ort und im spanischen Fernsehen prangte auf Werbetafeln der Heineken- Gruppe der Name „Aguila“, wie deren Bier in Spanien heißt. TV- Gucker in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz sahen an gleicher Stelle das Wort „Amstel“. So nennt sich das Gesöff dort.

In Deutschland dagegen ist die Realität im Stadion und die im Fernsehen noch weitgehend dieselbe. Das aber sollte eigentlich anders werden. Die fürs Fernsehen zuständigen Bundesländer wollten virtuelle Werbung ermöglichen. Im Januar legten sie einen Staatsvertragsentwurf vor, der die virtuelle Zauberei erlaubt – sofern „der Gesamteindruck der Sendung nicht verfälscht wird“, wie es unscharf hieß. Und im Umfeld von Kinder- und Jugendsendungen sowie im „Nachrichten- und Berichtswesen“ sollten Reklame-Fata-Morganas lieber ausbleiben. Damit nicht in einem Bericht über Gewerkschaftsdemos Slogans für die 48-Stunden-Woche auf die Transparente manipuliert werden.

Doch bei einer Anhörung von Werbewirtschaft und Fernsehsendern stellten die Rundfunkreferenten der Länder überrascht fest, daß zur Zeit niemand so richtig die virtuelle Werbung will. Es gebe dringendere Probleme, erklärten die Lobbyisten der Werbewirtschaft. Andreas Kühner, bei der RTL-Werbetochter IP für gute Reklamestimmung zuständig, befürchtet gar eine „Überfrachtung“ mit Werbung. Die Glaubwürdigkeit könne leiden, wenn etwa Sportlern mitten im Spiel mal das eine Logo, mal das andere aufs Trikot geblendet werde: „Wechselnde Bandenwerbung“, meint er, „ist das einzige, worüber man seriös reden kann.“ Für Hartmut Reuff, Werbechef beim Krämerwarenkonzern „Procter & Gamble“, sind noch viel zu viele Punkte offen. Kassiert für virtuelle Werbung der Stadionbesitzer, der Sportveranstalter oder der TV- Sender? Und was ist, wenn ein Werbekunde erst eine Spielfeldbande beim Stadionbesitzer mietet, dann aber erleben muß, wie sein Slogan bei der Fernsehübertragung mit der Reklame der Konkurrenz überblendet wird?

Noch ganz andere Sorgen hat der Intendant des Hessischen Rundfunks, Klaus Berg: „Fernsehzuschauer sollen Sportler in Kleidung sehen, die sie nicht tragen, auf Spielfeldern, die so nicht existieren, und vor einem Hintergrund, den es im Stadion in Wirklichkeit nicht gibt.“ „Manipulation von Bildern“ fürchtet Berg und „Verfälschung der Wirklichkeit“.

Desinteresse hier, Proteste dort – da verloren auch die Beamten in den Länderregierungen die Lust. Plötzlich konnte sich so richtig niemand erinnern, wer eigentlich auf die Idee gekommen war. Der Passus über virtuelle Werbung wurde gestrichen. Damit bleibe sie eine Form der illegalen Schleichwerbung, sagt Hans-Dieter Drewitz von der federführenden Mainzer Staatskanzlei, der virtuelle Werbung mittlerweile für „abenteuerlich“ hält. Übermorgen wollen die Ministerpräsidenten bei ihrer Konferenz in Berlin über die neuen TV-Gesetze reden.

Aber schon bei der Schleichwerbung wirken die Kontrolleure in den Landesmedienanstalten ziemlich machtlos – wenn sie nicht ohnehin tatenlos bleiben, weil sie sich mit den Sendern nicht anlegen wollen. Neuerdings fürchten sie, es nicht verhindern zu können, wenn doch jemand Trugbilder zuschaltet. „Wir wären überfordert, zu kontrollieren, ob virtuell geworben wird“, sagt Martin Wolff von der gemeinsamen Stelle Werbung der Medienanstalten.

Eine kleine Träne vergießt der Privatsenderverband VPRT. „Wir hätten uns gefreut, wenn es eine Versuchsklausel gegeben hätte, um Erfahrungen sammeln zu können“, bedauert VPRT-Sprecher Hartmut Schultz. „Eine Versuchsklausel“, kontert da Staatskanzlist Drewitz, „das ist, wie wenn Sie einen kleinen Piranha in eine Badewanne setzen, um zu gucken, was er so anrichtet, und sagen: Ich kann ja immer noch den Stöpsel rausziehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen