Schreckbild einer emanzipierten Frau

■ Louise Aston ruinierte ihren Ruf – nicht nur mit ihren Romanen und Streitschriften. Bürgerliche Anständigkeit war ihr fremd. Ihr Oppositionsgeist war in den Intellektuellenclubs geschätzt

Das ist keine schlechte Leistung für eine junge Frau aus der Provinz, sich innerhalb von zwei Jahren ihren Ruf in der Berliner Gesellschaft komplett zu ruinieren. Beim monarchistischen Staatsapparat ebenso wie in den Clubs der Freien, bei Männern wie bei Frauen. Louise Aston hat es mit nicht mehr als zwei Romanen und einer Sammlung von Liebesgedichten geschafft, sich in das Zentrum einer empörten Literatenszene zu drängen – und mit einigen einschlägigen Auftritten.

Konservative wie Liberale geraten in Rage über die „frivole Karikatur“, die „emanzipationslustige Komödiantin“, „das Schreckgespenst ehrbarer Hausfrauen“, die „wollüstige, unsittliche Abenteurerin“.

Dabei geht es meist nicht um Astons literarisches Werk, sondern um das Privatleben dieser provozierend selbstbewußten Frau. Das hat Gründe: Zum einen glaubt ihr eh niemand, daß sie die Bücher tatsächlich selbst geschrieben hat – am häufigsten werden sie ihrem stadbekannten Liebhaber Rudolf von Gottschall zugeschrieben. Zum anderen hat Louise Aston selbst zum Programm erhoben, ihre „Privatangelegenheiten vor dem Forum der Öffentlichkeit auszubreiten“.

Das hat sie zum ersten Mal in ihrer Streitschrift „Meine Emanzipation“ getan, mit der sie eigentlich ihre Ehre retten wollte, nachdem sie aus Berlin ausgewiesen worden war. Im Polizeibericht heißt es, sie scheine es „besonders auf Emanzipation und fröhliche Gelage abzusehen“. Freimütig schreibt sie über ihr bisheriges Leben, warum sie von ihrem Mann, einem britischen Fabrikanten, von dem sie in der Ehe und im Bett gelangweilt war, geschieden war; warum sie in der Öffentlichkeit Männerkleidung trägt und Zigarren raucht; warum sie ihr bisher zu kurz gekommenes Verlangen nach Sinnlichkeit endlich ausleben will. Beschämt ignoriert die Gesellschaft ihre Bekenntnisse. Überzeugt davon, „in dem eigenen Erlebnis das Los vieler Tausender“ zu teilen, schreibt sie in ihrem kurze Zeit später erschienenen Roman „Aus dem Leben einer Frau“ weiter gegen „häusliche Widerwärtigkeiten“ und die Entwürdigung der Frau an, der das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und der „Emanzipation des Herzens“ genommen werden: „Vom Vater verkauft, von einem Rohling erbeutet, von der Gesellschaft begutachtet wie ein Stück Vieh“, faßt sie das Schicksal bürgerlicher Frauen zusammen. Sie dagegen will sich amüsieren. In ihrer Gedichtsammlung „Wilde Rosen“ ruft sie ihr Lebensmotto aus: „Freiem Lieben, freiem Leben / Hab ich ewig mich ergeben.“ Damit war ihre Ehre völlig hin.

Fast alle Schriftstellerinnen haben sich inzwischen von Louise Aston abgewandt. Louise Otto schrieb schlichtweg: „Ich bemitleide sie.“ Andere befürchteten, sie würde durch ihre Ausschreitungen in sittlicher Beziehung Anstoß und das Schreckbild einer emanzipierten Frau provozieren.

Einige männliche Schriftsteller haben sie in Schutz genommen. Was nicht allein auf kollegialer Achtung beruht, denn besonders tiefgründig sind ihre Werke tatsächlich nicht. Ihre Romane, wie zuletzt „Lydia“, und Gedichte sind, sozusagen, revolutionäre Unterhaltungsliteratur („Reißt die Kreuze aus der Erden / Alle sollen Schwerter werden“). Es liegt wohl vielmehr daran, daß diese femme libre bei Männern eben entsprechenden Anklang findet.

Als einzige Frau verteidigt Mathilde Franziska Anneke sie: Es seien „harmlose Frauenherzen“, die einer George Sand noch verzeihen, einer Louise Aston aber nicht mehr. Die Sand gilt als Naturphänomen, die das Urteil der Welt nicht braucht. Aston provoziert es unerbittlich.

Allein Karl August Varnhagen von Ense kritisiert Willkür und Ungerechtigkeit, die der politischen Kämpferin durch die Ausweisung geschehen ist. Auch wenn Übermut, erotische Abenteuer und Zechgelage ihr als mangelnde Ernsthaftigkeit übelgenommen werden, ist ihr „Oppositionsgeist“ in den Intellektuellenclubs geschätzt. Nachdem sie aus dem „Rütli“ hinausgeworfen wird, findet sie Aufnahme bei den „Berliner Freien“.

Hier wettert sie gegen die kalte Gier nach Macht von Adel und Besitzbürgertum an, empört sich über Gewalt und Despotie als einzige Mittel der Restauration, ihre Macht zu erhalten. Zensur, die Auflösung der Burschenschaften, das Verbot der Jungdeutschen sind Ausdruck der faktischen Machtlosigkeit des Adels, dessen Sturz für Aston nur noch eine Frage der Zeit sein kann. Es ist von Louise Aston zu erwarten, daß sie sich demnächst einen Wams anzieht, auf Barrikaden steigt und dabei eine Menge Spaß haben wird. Thekla Dannenberg