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Im Jurassic Park der deutschen Demokratie Von Friedrich Küppersbusch

„Während der Verhandlungen dürfen keine Aufnahmen gemacht werden.“ Wortlaut einer Drehgenehmigung beim Deutschen Burschentag.

Ausgestellt wurde uns der Wisch von der „Vorsitzenden“ Burschenschaft „Brixia“, die auch in jeder anderen Hinsicht das alte Wissen zu bestätigen suchte, daß die Österreicher die bescheuertesten Deutschen seien. Einer der Chargierten, also der jeweils drei Repräsentanten dieser Truppe, unterhielt Teile des Auditoriums vom Podium herab mit dem hübschen Kunststückchen, sich einen Finger durch ein frisches Mensurloch in der Wange zu stecken. Der Österreicher, raunte man uns zu, schlage Mensuren erstens gern und zweitens noch mit dem Säbel.

Als kleines Vergißmeinnicht nähe man nachher ein Pferdehaar mit ein, das gebe eine ansehnliche Wulst. In diesem Sinne auch sei das fehlende Ohrläppchen des Brixia- Erstchargierten weniger Ausdruck notärztlichen Versagens als vielmehr gewolltes Zeugnis burschenschaftlicher Treue: für die Gemeinschaft auch im Wortsinne „das Gesicht hinzuhalten“.

Was wir da sahen, und doch nicht drehen durften; erlebten, und doch nicht glauben konnten: dieses dreitägige Parlament der Untoten in Landau/Pfalz war und ist der leibhaftige Jurassic Park der deutschen Demokratie. „Burschenparlament“ hatten schon Zeitgenossen die Paulskirchenversammlung nicht unzutreffend genannt. Und die seither „deutschen“ Farben Schwarz, Rot und Gold stammen auch hierher: Studentische Schlägertrupps, nach ihrem Rädelsführer später als „Lützowsche Freicorps“ besungen („Hier kommt Lützows verwegene Jagd...“), hatten ihre Röcke aller Herren Couleurs einheitlich schwarz gefärbt; dazu rote Revers, goldene Knöpfe – fertig.

Einem solchen Corps – ansässig in der Südstadt, wo Köln seinen Millionären zu Villen ist – verdankte ich das etwas fremdelnde Gefühl, zum erstenmal seit Mama wieder zur Toilette geleitet worden zu sein. Die „Aktivitas“, also drei, vier wohlgenährte Herren Studenten, beharrten auf des „Fuxen“ Pflicht, uns Gästen diese Ehre anzutun. Unter diesem Fux, dem Lehrling, rangierte nur noch der „Fax“: der Hausmeister. Ins Fernsehen wollten die Herren Menschen aber nicht. Man empfahl uns zu „Verbindungen“, die laxer als die Corps seien, zum Beispiel „nur fakultativ schlagend“.

Wohl den Achtundsechziger geschuldet, gab es zumindest zeitweise mehr „Altherrenschaften“ als „Aktivitas“; also mehr Veteranen, die zahlen wollen, als junge Studierende, die unter diesen Umständen zu kassieren bereit wären.

In Bonn fand sich eine Truppe, die mit einem Grinsen erläuterte: Ja, man schlage sich noch, aber nur mit Worten: man halte ein Referat. Nein, man trage keine Farben mehr auf dem Campus, das provoziere nur unnötig. Ja, man habe mehrheitlich den Kriegsdienst verweigert und verzichte tendenziell auf Ehre, Freiheit, Vaterland. Nein, die Alten Herren seien nicht begeistert von derlei Verluderung burschenschaftlicher Ideale. Ja, billiger könne man während des Studiums nicht wohnen.

Nachbarn in Bonn: die „Borussia“, der studentischen Blüte des deutschen Hochadels vorbehalten. Sie bewohnte eine standesgemäße Gründerzeitvilla. Und hauste in ihr, wie es der Aufruf, für die Offene Tür würden noch gebrauchte Möbel gesucht, nicht anders hätte ergeben können. Aus Seidenhalstüchern lächelten uns die wohlgenährten Produkte von tausend Jahren Inzest entgegen, und wiesen auf eine Ahnentafel an der Wand: Auch der letzte deutsche Kaiser habe seine Studentenzeit hier „auf dem Haus“ verbracht. Man schlage sich hier nicht, das gebe häßliche Narben, und überhaupt sei der burschenschaftliche Gedanke an sich ja veraltet. Aber das sei man selbst schließlich immerhin auch.

Nachdem ungefähr 30 dieser demokratischen Keimzellen ihr Stattfinden in der Öffentlichkeit des Fernsehens abgelehnt hatten, erklärte sich die Kölner „Alemannia“ für erstens liberal und zweitens drehfertig. Mehr wie bei einer Instruktion über Spielregeln erfuhren wir, daß in Deutschen Burschenschaften grundsätzlich keine Frauen, keine Ausländer, keine Kriegsdienstverweigerer und keine Nichtchristen Aufnahme fänden. Damals arbeitete man aber gerade daran, einen gebürtigen Griechen aufzunehmen.

Wir erfuhren, daß man sein Bierglas vermittels eines „Zipfels“ kennzeichnet, einer Art farbentragendem Hosenträger, den man in den Rand zwickt, damit man nach gehabtem Vollrausch das Gerät schneller wiederfindet. Und wie stolz man noch stets darauf sei, daß die Nationalsozialisten ihrerzeit die Burschenschaften verboten und aufgelöst hätten und man doch deshalb schon nicht als rechtsradikal oder ähnliches diskriminiert werden dürfe.

Natürlich fand sich dann später beim Burschentag ein Bursche, der sein Käppi als Hohlraumversiegelung trug, unter der es hervorpladderte: „Rassetheoretisch“ habe er jetzt mal was anzumerken, „völkisch betrachtet“ und so weiter und so blöd.

Natürlich wurden auf dem Hambacher Schloß Plastik-Buttons „Das ganze Deutschland soll es sein“ in die Kamera gehalten. Und selbstverständlich ertönte in der Abschlußnacht, da man drehen, aber im Fackellicht nichts mehr erkennen konnte, allerorten die erste Strophe. Ein paar brüllten auch was von „...die Fahnen hoch...“, und alles zusammen war unseren Kölner Alemannen so peinlich, daß sie sich bei der Vorsitzenden Brixia beklagten. Der Vorsitzende wiederum drohte den Kölner Burschen daraufhin den Rauswurf an, weil die das Feindmedium Fernsehen eingeschleppt hatten.

Ein Kindergeburtstag. Ein riesiger, nationalistisch-konservativer, sturzbetrunkener, albern wichtigtuerischer Kindergeburtstag mit Schaffnerkäppis für alle.

Aus der Nähe und im einzelnen: nette Jungs drunter. Und Typen, mit denen man jederzeit offen und entschieden über eine hübsch moderne Diktatur unter Berücksichtigung völkischer Kriterien würde reden können.

In den 150 Jahren, die seit der Revolution von 1848 ins Land gingen, habe man sich vom äußersten linken zum besonders konservativen Rand entwickelt, erklärte man uns freimütig. Vielmehr: Habe die Gesellschaft sich praktisch um die Burschen herum von weit rechts nach weit links entwickelt.

So schnell kann es gehen. Noch schneller: Das äußerst linke, fortschrittliche Ziel der deutschen Einheit von 1848 – verwirklichte der äußerst rechte, reaktionäre Kanzler Otto von Bismarck schon 23 Jahre später. Wie auch der konservative Kanzler Kohl ein Jahrhundert später die Wiedervereinigung durchsetzte, – ein Ziel, von dem in den fünfziger Jahren die Sozialdemokraten nicht lassen wollten, anders als der christdemokratische Kanzler Konrad Adenauer, dem die Westbindung der Bundesrepublik näher lag. Wie überhaupt Fortschrittliche in Deutschland sich offenbar nie sicher sein können, nicht binnen gerade mal zwei Jahrzehnten zu ihrer eigenen Parodie zu werden.

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