: Erstmals seit seiner Haftentlassung gibt Faradsch Sarkuhi Auskunft über seinen Prozeß, Zensur im Iran und Versuche, kritische Schriftsteller zum Schweigen zu bringen. Sarkuhi, dem die Ausreise zu seiner Familie in Berlin verweigert wird, ga
Erstmals seit seiner Haftentlassung gibt Faradsch Sarkuhi Auskunft über seinen Prozeß, Zensur im Iran und Versuche, kritische Schriftsteller zum Schweigen zu bringen. Sarkuhi, dem die Ausreise zu seiner Familie in Berlin verweigert wird, gab folgendes Interview der Teheraner Zeitung „Dschameah“.
Angst vor Freiheit und Toleranz
Frage: Herr Sarkuhi, was ist Ihnen widerfahren?
Faradsch Sarkuhi: Ich war ein Jahr im Gefängnis. Wir Schriftsteller wollten freie Meinungsäußerung, freies Denken und glaubten an die Notwendigkeit eines freien Schriftstellerverbandes im Iran. Das Revolutionsgericht hat sich in meinem Fall einige Tage mit den Vorwürfen der Spionagetätigkeit, Verbindungen zu Ausländern und gegnerischen politischen Gruppierungen usw. beschäftigt, mich dann aber in diesen Punkten freigesprochen. Am Ende hat mich das Gericht wegen des Schreibens an meine Frau verurteilt, wegen „Propaganda gegen die Islamische Republik“ – zur höchstens dafür vorgesehenen Strafe: ein Jahr Gefängnis. Nach meiner Entlassung im Februar 1998 habe ich einen Reisepaß beantragt, mich mehrmals an die zuständigen Behörden gewandt. Aber trotz zahlreicher Einladungen internationaler Kultureinrichtungen wollen sie mich nicht reisen lassen. Dies steht im Widerspruch zu unseren und internationalen Gesetzen.
Welche Intention steckt hinter dem Vorwurf der Spionage?
Sie wollen den Schriftstellern ihr Recht auf freie Meinungsäußerung streitig machen. Sie wollen eine Atmosphäre der Angst und Einschüchterung schaffen: Der Schriftsteller soll unter Zensur und erzwungener Selbstzensur, in Angst und Unsicherheit arbeiten. Diese Kulturmonopolisten haben Angst vor freier Auseinandersetzung, Freiheit der Kultur, Vielfalt der Stimmen und Toleranz. Sie ertragen keine andere Stimme als die eigene. Sie versuchen, Schriftsteller zum Schweigen zu bringen, ihr Ansehen beim Publikum zu beschädigen. Emanzipierte Denker werden mit unberechtigten Vorwürfen konfrontiert, bis hin zur Zerstörung ihrer Persönlichkeit, zur physischen Vernichtung. Einige behaupten, ein Schriftstellerverband sei nur ein Deckmantel für oppositionelle politische Betätigigung.
Dieser Vorwurf hat mit der Realität nichts zu tun. Die Ansichten der Mitglieder des Schriftstellerverbandes sind so vielfältig, daß sie gar kein gemeinsames politisches Programm verfolgen können. Der Vorwurf der politischen Betätigung unter dem Deckmantel kultureller Aktivitäten wird erhoben, um die Gründung unabhängiger Initiativen zu verhindern. Wenn diese Leute an die Zivilgesellschaft und die Freiheit glaubten, brauchten sie davor keine Angst zu haben. Der Schriftstellerverband ist keine politische Initiative. Dennoch können Schriftsteller in ihren Werken auch politische Ansichten äußern. Wenn politische Parteien zugelassen würden, könnten jene, die sich politisch engagieren möchten, darin tätig werden. Aber solange politische Parteien nicht aktiv werden können, erwarten die Menschen von den Schriftstellern, daß sie die politischen Ansichten der Menschen zum Ausdruck bringen. Der Aufruf der 134 zur Gründung eines Schriftstellerverbandes wurde im Ausland veröffentlicht. Hier im Iran wurden einige der Unterzeichner wegen Verbindungen zu ausländischen Botschaften und Propaganda durch Interviews mit ausländischen Medien angegriffen.
Treffen diese Vorwürfe zu?
Der Aufruf der 134 wurde nach sechsmonatiger Auseinandersetzung 1994 geschrieben. Die Unterzeichner forderten die Abschaffung von Zensur und formulierten die Notwendigkeit eines Schriftstellerverbandes. Dieser Aufruf wurde an alle offiziellen Medien im Land und an das Ministerium für Kultur und Religiöse Führung geschickt. Doch keines der iranischen Medien hat den Aufruf veröffentlicht. Diese einheitliche Reaktion auf einen Aufruf, der nicht gerade unverschämte Forderungen enthielt, kann nicht ohne Weisung zustande gekommen sein. Hinzu kamen Vorwürfe, Beschimpfungen und Drohungen seitens der Medien gegen einige Unterzeichner. Auch das kann nur organisiert gewesen sein. Der Vorwurf gegen die Unterzeichner, sie hätten Kontakte zu ausländischen Botschaften, kam erst später und stimmte nicht. Anlaß war die Beteiligung von sechs Schriftstellern an einem Treffen beim Kulturattaché der Deutschen Botschaft in Teheran. Bei dem Besuch wurde nur über kulturelle Beziehungen von Schriftstellern beider Länder geredet, über die Übersetzung neuer literarischer Werke ins Deutsche und die kulturelle Tätigkeit des Goethe-Instituts. Die anwesenden Schriftsteller sprachen nicht als Vertreter einer Initiative, sondern als Privatpersonen. Es ist normal, daß ein Kulturattaché solche Treffen organisiert, um die Kultur seines Landes vorzustellen und die Kultur seines Gastlandes kennenzulernen. Ein normaler Besuch also, der nicht in Verbindung stand mit einem Aufruf, der schon 1994 veröffentlicht wurde und die Belange des Schriftstellerverbandes betraf. Mit der Herstellung dieser Verbindung jedoch wurde Stimmung gemacht. Durch den Vorwurf, einige der Unterzeichner hätten ausländischen Medien Interviews gegeben, wurde verwischt, daß schließlich jeder das Recht hat, Interviews zu geben, wem er will. Daß man einem inländischen oder ausländischen Medium ein Interview gibt, heißt ja nicht, daß man sich mit dem Medium identifiziert. Wenn ich der Zeitung Dschameah ein Interview gebe, bedeutet das nicht, daß ich hundertprozentig mit der Position dieser Zeitung übereinstimme.
Jene, die gegen den Aufruf waren, meinten, es handele sich um eine kulturelle Invasion...
Jede abweichende Meinung als Teil einer kulturellen Invasion zu bezeichnen, hilft keinem und reduziert ein sehr komplexes Problem auf eine ergebnislose und naive Ebene der Auseinandersetzung. Das einzige Mittel dagegen ist die Zulassung einer toleranten Auseinandersetzung, die alle unterschiedlichen Gedanken, Ideen und Glauben zuläßt.
Manche meinen, einige Schriftsteller würden dies mißbrauchen.
Wer hat das Recht, Schriftsteller zu kontrollieren? Niemand hat das Recht, Schriftsteller zu zensieren und den angeblichen Mißbrauch der freien Meinungsäußerung zu nutzen, um die Stimmen des Volkes zum Verstummen zu bringen. Immerhin: Mit der Wahl Chatamis zum neuen Präsidenten hat die Bevölkerung noch mal eindrücklich ihre Forderung nach Freiheit zum Ausdruck gebracht. Vielleicht ist jetzt die Zeit reif, daß im Iran Freiheit und politische Partizipation verwirklicht werden.
(Gekürzte Fassung der Interview- Serie in der Zeitung „Dschameah“)
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