■ Strunzige Fußballmillionäre: Der Arbeiter, selbst fett und faul, will im Stadion das, was ihm verlorengegangen ist: Einsatz und Kampf: Land der leeren Flaschen
Mit ihren eigenen Füßen haben Uwe Seeler, Lothar Matthäus, Guido Buchwald und noch ein paar andere Deutschland aufgebaut. Und jetzt kommt Strunz und macht alles kaputt. Strunz! Der, schreibt der kicker empört, „wußte schon immer alles besser“. Er will nicht parieren, Maul halten und malochen. Sondern nur noch abkassieren. Fazit: „Wir“ – alle, das Land – „stecken in der Scheiße“ (Matthäus).
„Wie bringt man Fußball-Millionäre zum Laufen?“ will Sport- Bild deshalb wissen und hat mit Udo Lattek gleich den besten Mann gefunden, um die Frage in ihrem Sinn beantworten zu lassen. „Es ist wie beim Krebs. Nur wenn man rechtzeitig und radikal eingreift, ist er zu heilen.“ Dies ist ein Vergleich, der zwar medizinisch umstritten ist, aber den Ton wiedergibt, in dem die Republik die Diskussion führt.
Groß ist die Wut, die sich in diesen Tagen entlädt über diese „hochbezahlten Stars“ (Tagesspiegel), diese „hochbezahlten Angestellten“ (FR), seit der Trainer Giovanni Trapattoni mit seiner Münchner Rede indirekt auf eine Diskrepanz („Einige Spieler vergessen ihnen Profi was sie sind“) zwischen Gehalt und Leistung gewisser Arbeitnehmer in Fußball- Unternehmen aufmerksam gemacht hat.
Einen „Aufstand der Fans“ hat der kicker nun ausgemacht, seit in einigen Stadien die Zuschauer die eben noch verehrten Helden „Scheißmillionäre“ schelten. Auch einigen Kommentatoren ist die persönliche Betroffenheit anzumerken über das offenbar dreiste Spiel der jungen Männer, jenes „müde Ballgeschiebe in Verbindung mit dickem Gehalt und großer Klappe“ (FR).
Der Profifußballer im Zeitalter nach Bosman, so lautet der allgemeine Tenor, rennt nicht genug für das Geld, das er zuviel bekommt und zu leicht verdient. Tatsächlich haben sich die Rahmenbedingungen des Geschäfts seit der Abschaffung der Ablösesummen zugunsten der Fußballer verschoben. Das gilt im besonderen für die besseren. Der Fußballprofi allgemein hat zunächst einmal die Fesseln der Leibeigenschaft etwas gelöst und sich einige Rechte erkämpft – solche, die anderen Arbeitnehmern auch zustehen.
Die Profis des FC Bayern München trainieren nicht deshalb „nur“ zwei Stunden am Tag, weil sie nicht länger arbeiten mögen oder ins Sport- und Nagelstudio müssen – sondern weil der Arbeitgeber sie da so angewiesen hat. Uli Hoeneß, der Bayern-Manager, redet nun davon, die teuren Angestellten „zwei-, dreimal pro Woche den ganzen Tag im Klub zu haben“. Kein Problem: Das kann er jederzeit anordnen. Ob es sportwissenschaftlich Sinn macht, einfach mehr zu trainieren, ist eine andere Frage. Aber dem Populisten Hoeneß paßt die Diskussion nicht nur in den Kram, vermutlich ist sie in seinem Büro entworfen worden. Eben noch waren die Profis jede Mark wert, die ihnen insbesondere Bayern und Borussia Dortmund mehr zahlen als andere Vereine, von denen sie sie mit einem besser dotierten Vertrag weggelockt haben. Nun beschweren sich die Vereine darüber, daß sie ihren Angestellten das viele Geld zahlen. Angeblich müssen sie das – einleuchtende Begründung –, weil es sonst ein anderer tut.
Natürlich sind die Mechanismen der Arbeitswelt Profifußball komplexer geworden seit den Zeiten eines Uwe Seeler. Genau das ist womöglich der Grund, warum sich Seeler selbst heute als Präsident des Hamburger SV nicht mehr zurechtfindet. Diese Entfremdung drückt sich in dem immer stärker werdenden Wunsch nach Umkehr aus. Zurück in die Sechziger, als Seeler selbst mit schweißnassem Resthaar und bescheidenem Grundgehalt symbolisierte, wie eine Gesellschaft durch Kampf zum Spiel findet und irgendwann das Tor fällt – wenn man nur will und dabei immer bodenständig bleibt. Aber man kann ein Rad nicht zurückdrehen, dem man Jahre zusah, wie es lustig vom Wind gelenkt wurde. Ob die jetzige Wut der Anhänger wirklich die Entfremdung der Arbeiter von ihrem adoptierten Lieblingskind ausdrückt, ist eine andere Frage. Schon der Profi Beckenbauer hätte sich gehütet, mit simplen Anhängern in der Kneipe ein Pils zu zischen.
Es ist auch nicht so, daß fünf Millionen Arbeitslose in den Stadien für Umverteilung protestierten. Die Aufregung hat weniger damit zu tun, daß das Volk nach Brot schreit, sondern vielmehr damit, daß eine gelähmte, lethargische Gesellschaft wenigstens bei ihrer Lieblingsablenkung gut unterhalten werden möchte.
Da fragt sich: Ist der Fußball heute schlechter als gestern? Antwort: Nee.
Verlangt wird allerdings nicht ein besseres Spiel, verlangt wird härtere Arbeit. Der Arbeiter, selber fett und faul am Band oder zu Hause im Sessel, will im Stadion das, was ihm und der Gesellschaft verlorengegangen ist: Einsatz und Kampf „bis zum letzten Blutstropfen“ (Uli Hoeneß). Ausdrücklich ausgenommen von der allgemeinen Wut wird daher der FC Schalke 04, dessen Profis gegen Inter Mailand zwar verloren haben, aber immerhin „ihren größten Kampf“ (Bild) geliefert haben.
Die Kämpfer werden in Stellung gebracht, wackere Deutsche wie Yves Eigenrauch und Guido Buchwald, die für das stehen, was einst angeblich selbstverständlich war: das Hochkrempeln der Ärmel oder wenigstens Fletschen der Zähne (wie im Fall Oliver Kahns) zum Wohle des Vereins und letzlich auch des Volkes. Daß bei Schalke kaum noch Deutsche spielen, kann man in diesem Zusammenhang getrost als Beweis für die Trostlosigkeit der deutschen Lage nehmen. Ausländische Arbeitskräfte sind eben motivierter und leistungsbereiter – und in der Regel billiger, sowieso.
Obwohl sich alles ums das Geld dreht, gilt viel Geld verdienen in Deutschland noch immer als „nackte Gier“ (FAZ). Natürlich hat Stefan Effenberg recht, wenn er lapidar sagt, es mache kaum noch einen Unterschied, ob er fünf Millionen verdiene – oder fünfeinhalb. Es macht auch wenig Sinn, sein Spiel beziehungsweise seine Arbeit danach abzuklopfen, ob er das Geld auch verdient, nach dem Bild-Motto „Wer nichts bringt, darf auch nicht kräftig abkassieren“. Wo steht das? Der Fußball ist nicht die Utopie von einer Gesellschaft, er spiegelt bloß ihren Zustand wider. Und dieser ist? Genau: Strunz.
Bild druckte nun ein Foto des hauptangeklagten Fußballprofis („Was erlauben Strunz?“) und schrieb darunter: „Und er lacht immer noch...“ Wenn Strunz nicht schleunigst das Land verläßt oder zwei Tore schießt, dann hat er ein ernstes Problem. Peter Unfried
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