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Eine Art Terminator

■ Zu schade für Deutschland allein: Der US-Historiker John Lukacs versucht zeitgerecht, Hitler zu globalisieren. Ein Eingriff in das verzweifelte Ringen an der deutschen Entsorgungsfront

Seit Hitlers Tod quälen sich die Publizisten mit einem Problem: Wie werden wir ihn denn nun los? Der Schock der „deutschen Katastrophe“, von der Friedrich Meinecke 1946 schrieb, scheint einen Verdrängungswettbewerb der besonderen Art ausgelöst zu haben. Als würde ein endloses Preisausschreiben stattfinden, gehen unablässig neue Vorschläge ein.

So bewarb sich 1973 Joachim Fest mit der Idee, Hitler als Kulmination einer „machtvollen Zeittendenz“ zu verstehen, „in deren Zeichen die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts stand“. Sein Erscheinen weise „weit über den Rahmen der engeren deutschen Verhältnisse“ hinaus. Sebastian Haffner merkte 1978 zu Hitler an, dieser stehe „in keiner deutschen Tradition“, er sei so etwas wie „ein unerklärlich von außen Hereingeschneiter“. Dafür bekam er ausgerechnet den Heinrich-Heine-Preis. Klaus Hildebrand ließ 1995 die deutsche Geschichte „ins Singuläre der Untat Hitlers“ einmünden, und Eberhard Jäckel deutete im Jahr darauf die Herrschaft des „Triebtäters“ als „größten anzunehmenden Unfall“.

In das verzweifelte Ringen an der deutschen Entsorgungsfront greift jetzt der amerikanische Historiker John Lukacs mit einer neuen Variante ein. Für ihn ist Hitler die „außergewöhnlichste Gestalt“ des 20. Jahrhunderts und „womöglich der populärste revolutionäre Führer in der Geschichte der modernen Welt“. Als deutschen Politiker sieht er den Diktator nicht so richtig: „Stalin fügt sich eher in die Struktur der russischen Geschichte ein als Hitler in die der deutschen.“ Was bleibt, ist die Suche nach „Hitlers Ort in der Geschichte dieses Jahrhunderts“. Da trifft es sich, daß die neuzeitliche Epoche nach 500 Jahren angeblich zu Ende geht. Hitlers Auftritt falle in die Zeit des Übergangs; den „Feind fast alles ,Bürgerlichen‘“ erklärt der Autor damit zu einer Art Terminator der Neuzeit.

Lukacs erhebt den Anspruch, die „Entwicklung unseres Wissens über Hitler“ darzustellen, und kommentiert die wichtigsten biographischen Studien. Sein Credo: Geschichte wird von „Einzelpersonen“ gemacht, und bei der historischen Erkenntnis kommt es mehr auf Verstehen als auf Genauigkeit an. So fühlt er sich ohne Distanz und Begriff in die Zeitumstände ein. Erschreckend ist, wie er von der „lächerlichen und schäbigen Episode der Münchner Räterepublik“ schreibt, „deren Führer zum Teil aus dem Judentum und dem intellektuellen Lumpenproletariat stammten“. Ein verstecktes Plädoyer für die Gegenrevolution? Lukacs hätte besser davon berichtet, wie Hitler als V-Mann der Reichsabwehr aufgebaut und an die Politik herangeführt wurde.

Lukacs verfällt dem schönen Schein

Der Historiker zieht das Bild eines Genies vor, dem es gelang, die Umstände nach seinen Ideen zu formen. Auch sei Hitler ein Revolutionär und sein Regime modern gewesen. Lukacs verfällt – wie viele vor ihm – dem schönen Schein des Dritten Reiches. Autobahnbau, technischer Fortschritt, Jugendkult usw. sind die Stichworte und Autoren, Joachim Fest und Rainer Zitelmann geschätzte Souffleure. Doch was war „modern“ an der Entrechtung der Arbeiterschaft, der rassischen Verfolgung oder der Wiedereinführung der Sklaverei? Die Treibsätze der Hitlerschen Verbrechen waren ja gerade seine gegenrevolutionäre politische Herkunft und Praxis sowie die Rückständigkeit seiner antizivilisatorischen Affekte. Nach Lukacs ist er indes ein „Zauberer“, ein moderner Populist, der an die „Souveränität des Volkes“ glaubte.

Ein Kapitel heißt „Staatsmann und Stratege“. Man kann Hitler so einiges zuerkennen, nur nicht das Attribut des Staatsmannes: Kein deutscher Politiker hat eine verfassungsmäßige Ordnung gründlicher ruiniert als er. Laut Lukacs gelang ihm jedoch „noch Größeres“ als Bismarck, nämlich „ein großdeutsches Reich, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte“. Dieser unkritischen Bewunderung entspricht die Mutmaßung über den Kriegskurs, den der Historiker auf das Seelenleben des Diktators im Winter 1937/38 zurückführt. Ähnlich abstrus ist das Kapitel über den Völkermord.

Der Historiker nennt es verstohlen „Hitler und die Juden: Rätsel und Tragödie“. Darin fragt er allen Ernstes, ob der Diktator nicht einen anderen Platz in der Geschichte hätte ohne den Holocaust. Warum diese Spekulation, will Lukacs einen eigentlichen, besseren Hitler retten? Nach lauter Rätselraten über dessen Judenhaß endet das Kapitel mit der Demut des jungen Adolf gegenüber dem jüdischen Arzt seiner Mutter. Das Kuriose an dem Buch ist, daß es sogar ein Kapitel über „Offene und heimliche Bewunderer und Apologeten“ Hitlers enthält – obwohl der Autor zu eben diesen gehört. Joachim Oltmann

John Lukacs: „Hitler. Geschichte und Geschichtsschreibung“. Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Norbert Juraschitz. Luchterhand Literaturverlag. München 1997, 367 Seiten, 48 DM

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