Im Kleinbetrieb bleibt Rauswurf leichter

■ Karlsruhe entscheidet: In Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten gilt weiter einfacher Kündigungsschutz. Nur bei Verstoß gegen „Treu und Glauben“ kann Kündigung kassiert werden

Freiburg (taz) – In Kleinbetrieben kann auch künftig leichter gefeuert werden als in der übrigen Wirtschaft. Diese Entscheidung machte das Karlsruher Bundesverfassungsgericht gestern bekannt. Gleichzeitig betonte das Gericht, daß auch die Beschäftigten von Handwerksbetrieben, Werbeagenturen und Arztpraxen „nicht völlig schutzlos“ bleiben dürfen. Kündigungen, die gegen die „guten Sitten“ oder „Treu und Glauben“ verstoßen, sollen die Arbeitsgerichte künftig kassieren können.

Die Entscheidung beruhte auf einer Vorlage des Reutlinger Arbeitsgerichts aus dem Jahr 1987. Das Gericht fragte an, ob die MitarbeiterInnen von Kleinbetrieben nicht dadurch unangemessen benachteiligt würden, daß ihre ArbeitgeberInnen völlig vom Kündigungsschutz freigestellt sind. Früher lag die Grenze für einen Kleinbetrieb bei fünf Beschäftigten, 1996 wurde der Schwellenwert auf Druck des Handwerks verdoppelt.

Bisher müssen Kleinbetriebe bei einer Kündigung nur die Kündigungsfrist einhalten. Dagegen fordert das für die übrige Wirtschaft geltende Kündigungsschutzgesetz eine nachvollziehbare Begründung des Rauswurfs. Außerdem verlangt es, daß bei der Auswahl der Gekündigten soziale Kriterien (wie Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten) berücksichtigt werden. Tatsächlich geht es bei Kündigungsschutzprozessen in der Regel nicht mehr um den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern nur noch um die Höhe der Abfindung.

Die Sonderregelung für Kleinbetriebe ist nach Auffassung des Verfassungsgerichts allerdings grundgesetzkonform. Die besondere Freiheit für die kleinen Klitschen wurde mit der dünnen Kapitaldecke solcher Betriebe begründet und damit, daß eine Störung des Betriebsklimas hier nicht durch Umsetzung von MitarbeiterInnen, sondern nur durch Kündigung beseitigt werden könne. Dennoch ist nach Ansicht der Roten Roben ein „angemessener“ Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gewährleistet. Denn „zivilrechtliche Generalklauseln“ schützten vor „sitten- und treuwidrigen“ Kündigungen. Das hatten die Arbeitsgerichte bisher nur vereinzelt so gesehen. Hier muß die Rechtsprechung nun neue Maßstäbe entwickeln. Die Vorgaben des Verfassungsgerichts sind dabei recht vage: So seien „diskriminierende“ Kündigungen unzulässig und ein „durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses“ dürfe „nicht unberücksichtigt“ bleiben. Insgesamt sei ein „gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme“ gefordert.

Offen blieb dabei, wer im Prozeß die Beweislast für das Einhalten dieser Prinzipien trägt. Auch hier sollen die Arbeitsgerichte neue Wege gehen und „abgestufte“ Maßstäbe entwickeln. Klargestellt wurde schließlich noch, daß die Kleinbetriebsklausel nicht auf ausgelagerte Konzernfilialien anwendbar ist. Typisch für einen Kleinbetrieb sei, daß die Eigentümer im Betrieb mitarbeiten. Seit der Anhebung des Schwellenwerts arbeiten in Deutschland etwa acht Millionen ohne gesetzlichen Kündigungsschutz.

(Az.: 1 BvL 15/87) Christian Rath