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Mmhh Moorschnucken!

Ahaus: Das ist Atommüll, Zwischenlager, Prügelorgien. Statt Plutonium gibt es aber auch in Rotwein eingelegte Moorschnuckenkeulen und Lammschulter mit provençalischen Kräutern. Zu Besuch in einer ungewöhnlichen Schäferei jenseits ausgetretener Atompfade war  ■ Karl Wegmann

„Das Schweigen der Lämmer“ ist nur ein Film. Diese Lämmer schweigen nicht, sie lärmen. Es blökt und bäht und mäht lautstark aus tausend Kehlen: Mittagszeit in der Schäferei Moorhof der Biologischen Station Zwillbrock. 550 ausgewachsene Moorschnucken und 450 Lämmer tummeln sich in dem großen Stall und machen sich zwischen der Blökerei über das angebotene Heu her. Mittendrin Peter Vogel. Er hat die Hand voller dicker Buntstifte und malt die Schnucken an. Mal zwei kräftige rote Striche auf den Rücken, mal eine schicke blaue Kriegsbemalung ins Gesicht. „Mütter und Lämmer bekommen das gleiche Zeichen“, erklärt er, „damit man sofort sieht, wer zu wem gehört.“ Dann kommt Bruno, der altdeutsche Hütehund, und treibt die Schnucken nach draußen. Nur zwei bleiben kläglich mähend im „Lämmerschlupf“, dem Kindergarten, zurück.

Peter Vogel ist Pfälzer. Vor zehn Jahren bewarb er sich auf eine Stellenausschreibung in der Schäferzeitung. Er bekam den Job, verließ Ludwigshafen und betreut seitdem als Schäfermeister die Moorschnucken der Biostation Zwillbrock in der Nähe von Ahaus. Hauptaufgabe der Biostation ist die Betreuung aller Moore und Feuchtgebiete im Kreis Borken. Das ist ein Gebiet von 500 Hektar, das sich über die westfälische Grenze bis in die Niederlande hinein ausdehnt. Die Moorschnucke oder „Weiße hornlose Heidschnucke“ eignet sich besonders gut für die Landschaftspflege. Als Wiederkäuer sind die Schafe hervorragend geeignet, die Naturschutzflächen zu nutzen und zu pflegen, sie erzeugen hochwertigen Dünger für den Boden.

Seit Jahrhunderten wird diese kleine Hausschafrasse gezüchtet. Dabei wurde durch harte Auslese auf Widerstandsfähigkeit und Anpassung an die besonderen Verhältnisse in den Moorlandschaften geachtet. Als Nahrung dienen vor allem Heidekraut, Moorgräser, Wildkräuter und Birkenaufwuchs. „Andere Schafe würden dabei verhungern“, weiß Peter Vogel, „aber unsere stürzen sich drauf. Sie müssen natürlich ziemlich lange fressen, bis sie von dem Zeug satt werden.“ Selbstredend, daß bei dieser artgemäßen Haltung – die Schafe stehen nur in der Ablammzeit von Januar bis April im Stall – die Schnucken keine vorbeugenden Arzneimittel, Fütterungsantibiotika oder Wachstumsförderer benötigen.

Und die Schnucken wachsen langsam, sehr langsam. Die jungen Tiere haben Zeit, sich zu entwickeln, das Fleisch hat Zeit, Geschmack zu bekommen. „Einmalig“, das mußt du probieren“, schwärmen die Münsteraner Slow-Food-Mitglieder, die uns den Tip gegeben haben.

„Schafe der Texelrasse werden in 4 bis 5 Monaten schlachtreif gemästet“, sagt Schäfer Vogel, „unsere stehen eine volle Weideperiode im Moor und auf den Wiesen und werden erst nach 12 bis 18 Monaten geschlachtet. Wir betreiben hier keine Mastlammproduktion.“ Moorschnuckenfleisch ist sehr aromatisch, würzig, fast wie Wild, aber nicht so trocken. „Kernig“ nennt Peter Vogel den Geschmack.

Bis zum Alter von 12 Monaten gilt das Schaf als Lamm und darf als solches verkauft werden. Schnucken-Lammfleisch erkennt man an der kräftigen roten Farbe, der feinen Marmorierung, dem geringen Verfettungsgrad und der vollfleischigen Ausbildung der Keulen-, Schulter- und Rückenpartien. Bei wenig Fett enthält das Fleisch neben viel Eiweiß die lebensnotwendigen Vitamine B1, B2 und B11 sowie die Mineralstoffe Magnesium, Kalium, Zink, Phosphor und Eisen. Sein hoher Anteil an ungesättigten Fettsäuren macht es gut bekömmlich. Und es ist vielseitig. Man kann es grillen, braten, schmoren, kochen mit Thymian, Estragon und Rosmarin.

Aber auch die ausgewachsene Schnucke ist lecker. Zum Beispiel als Sauerbraten. Dazu legt man eine ausgebeinte Keule zwei bis drei Tage in eine Mischung aus Rotwein, Kräuteressig, Lorbeerblättern, Pfefferkörnern, Zwiebeln ein. Gut abtropfen lassen und zwei bis zweieinhalb Stunden in den Bräter. Ein Hochgenuß.

Peter Vogel bietet Mettendchen aus Schnuckenfleisch an. „Na ja“, gibt er zu, „den Schnucken fehlt das Fett, deshalb ist da 30 Prozent Bio-Schwein drin, die Würstchen wären sonst einfach zu trocken.“ Die Mettenden schmecken deftig und haben eine satte rote Färbung. Moment mal! Ist die Wurst beim Bio-Metzger nicht immer grau, weil keine Farbstoffe verwendet werden? „Sind hier auch nicht drin“, sagt der Schäfermeister, „mein Bio- Metzger erhält das Schaffleisch rot, indem er ein wenig zuckert.“

Zweimal im Jahr wird geschlachtet, im Frühjahr und Herbst. Etwa 150 Tiere werden als Lammfleisch verkauft, dazu kommen noch einmal 100 Altschafe, die zu Sauerbraten, Leber-, Brat- und Knackwurst oder als Salami verarbeitet werden. Peter Vogel verkauft nur an Privatkunden, darunter ist auch ein Metzger aus Bonn. „Der nimmt aber die Schnucken schon geschlachtet und verkauft das Fleisch an ausländische Botschaftsangehörige.“

Ein bißchen Potential hat Peter Vogel noch. „So ungefähr 50 bis 100 Tiere könnte ich jährlich mehr verkaufen“, sagt er, „auch die Landschaft könnte gut eine verdoppelte Herde vertragen.“ Ist der Verkauf von Schnuckenfleisch ein gutes Geschäft? Schäfermeister Vogel winkt ab: „Das Land Nordrhein-Westfalen finanziert die Biostation. Alle Erträge fließen wieder zurück.“

Wer einmal Schnuckenfleisch probieren oder den Schafstall besichtigen möchte, schreibt an die Schäferei Moorhof, Graeser Brook 13, 48683 Ahaus. Peter Vogel schickt dann rechtzeitig vor dem nächsten Schlachten eine Preisliste mit Bestellschein. Besucher können sich persönlich davon überzeugen, daß das „Schweigen der Lämmer“ wirklich nur ein Film ist.

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