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Wiedervorlage 1999

■ Im Bundestag scheiterte der SPD-Antrag, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. SPD kündigt Novelle "mit neuen Mehrheiten" für 1999 an. Junge Wilde hielten Fraktionsdisziplin

Bonn/Berlin (taz) – Im nächsten Jahr wird alles besser. Nach einem Wahlsieg der SPD im September wird „mit neuen Mehrheiten“, so die SPD Abgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast, ein großzügiges Staatsbürgerschaftsrecht geschaffen. Der neuerliche Verweis auf bessere Zeiten war das einzige Ergebnis, daß der Bundestag gestern den sieben Millionen Nichtdeutschen in der Republik anzubieten hatte. Auch nach jahrelangen Debatten, diversen Vorschlägen und landesweiten Kampagnen für eine doppelte Staatsbürgerschaft blieb gestern in Bonn alles beim alten: Sowohl die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts als auch die begrenzte Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft wurde von der Mehrheit der Koalition abgelehnt. Absurderweise, obwohl diese Mehrheit eigentlich gar nicht mehr existiert.

Nach dem Erfolg der Opposition beim Lauschangriff hatte die Union die Abstimmung über das Staatsbürgerschaftsrecht zum Sein oder Nichtsein der Koalition erhoben. AbweichlerInnen aus der FDP oder auch aus der CDU hätten einen Sturz der Regierung riskiert und hatten deshalb bereits im Vorfeld klargemacht, daß sie aus diesem Grund gegen ihre Überzeugung stimmen und sich der Koalitionsräson unterwerfen werden. Lediglich drei Abgeordnete aus der FDP enthielten sich letztlich der Stimme: die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobson, die schon vor Jahren einen ähnlichen Antrag wie jetzt den von der SPD-Bundesratsmehrheit eingebrachten Entwurf vorgelegt hatte, die Wortführerin des Freiburger Kreises, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und der Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch. Letzterer wollte wie schon beim Lauschangriff aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Alle anderen FDP-Abgeordneten hielten sich, wie Guido Westerwelle betonte, trotz überwiegend abweichender Meinung an den Koalitionsvertrag. Das galt auch für eine Gruppe von CDU-Abgeordneten, unter ihnen Heiner Geißler und der Sprecher der jungen Wilden, Peter Altmeier, die bedauerten, daß die SPD den Kampf für ein neues Staatsbürgerschaftsrecht so offenkundig in der Hoffnung instrumentalisierte, der Koalition eine neue Abstimmungsniederlage beizubringen.

In der Tat waren die Bemühungen um eine Reform des völlig antiquierten, aus dem Jahre 1913 stammenden Staatsbürgerschaftsrecht, nach dem Deutscher nur ein Kind deutscher Eltern werden kann, für diese Legislaturperiode längst gescheitert. Im Sommer letzten Jahres hatte eine Gruppe jüngerer CDU-Abgeordneter den letzten Versuch unternommen, die Blockade innerhalb der Union aufzubrechen und die Fraktionsführung dazu zu bewegen, die Abstimmung freizugeben und so eine interfraktionelle Initiative zu ermöglichen. Der Versuch der jungen Wilden im Sommer 1997 war an der CSU gescheitert, aber auch an den Hardlinern um Innenminister Kanther, der kategorisch gegen eine Liberalisierung eintritt. Als Wolfgang Schäuble entgegen den Erwartungen der Reformer ihre Position nicht unterstützte, war die Sache praktisch gelaufen.

Wiedervorlage 1999. Jürgen Gottschlich/

Christian Esser

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