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Nur noch über die Hochschule reden

■ Eine Klagewelle konservativer Studenten verbietet Studentenvertretungen, anderes als Hochschulpolitik zu machen. Aufklärung über Nationalsozialismus mit Ordnungsgeld bestraft

Berlin (taz) – Florian Schuck fühlte sich übergangen. Ständig äußerte sich der Allgemeine Studentenausschuß (Asta) der Freien Universität (FU) Berlin über Gott und die Welt. Aber ihn, den Vorsitzenden des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), fragten die StudentenvertreterInnen nie. Solche „plumpe, einseitige Prodaganda“ über den Aufstand der Zapatisten in Chiapas, Bundeswehrgelöbnisse oder die Nato sollte ein Ende haben. Also klagte Schuck gegen den Asta – und bekam vorläufig Recht. Ein Ordnungsgeld von 500.000 Mark droht den Uni-Aktivisten nun bis zur Entscheidung in der Hauptsache, wenn sie wieder eine Erklärung herausgeben, die nichts mit der Hochschule zu tun hat.

Berlin ist kein Einzelfall. Bereits neun Verwaltungsgerichte haben bundesweit studentischen Vertretungen Äußerungen zu anderen als Uni-Themen untersagt. In den Asten unter anderem in Bremen und Marburg ist man wenig erfreut über die „Maulkorbklagen“. Die Kläger übten „Zensur gegen studentische Politik“, sagt Elène Miesbach, vom Asta der Freien Universität Berlin. Die Trennung von allgemeiner und Hochschulpolitik sei „willkürlich und eindeutig politisch motiviert“. Hochschule und Studi-Vertretungen müßten sich politisch einmischen.

Die Richter sehen das anders. Dem Asta der FU untersagten sie nicht allein tagespolitische Presseerklärungen oder die Finanzierung außeruniversitärer Veranstaltungen. Schon die Herausgabe der Asta-Zeitung Neues Dahlem paßt den Richtern nicht. Justitia beanstandete Berichte über die neurechte Szene. Artikel über Antifa- Demos in dem Neonazi-Nest Wurzen „haben keinen Hochschulbezug“, urteilten die Richter – und folgten damit dem Anwalt der klagenden RCDS-Studenten. Was für die Asta-Leute eine Lehre aus deutscher Geschichte ist – die Aufklärung über neue und alte Rechte –, nannte der Anwalt der Kläger und CDU-Abgeordnete Michael Braun „rechtswidriges Treiben des Asta“.

In Münster haben die Richter den Spieß längst umgedreht – sie greifen in die Hochschulen ein. Das dortige Oberverwaltungsgericht untersagte letztes Jahr der Fachschaft Geschichte praktisch die über Münster hinaus bekannten „ZeitzeugInnengespräche“ mit KZ-Häftlingen und Widerstandskämpfern.

Gespräch mit Zeugen des NS kostete 500 Mark

Ein solches im Semesterspiegel abgedrucktes Gespräch mit Emil Carlebach, der in den KZs Buchenwald und Dachau einsaß, war für die Richter eine „inhaltlich wertende Auseiandersetzung mit dem Studienfach“. Die stehe nur dem einzelnen Studenten zu, nicht aber dem Asta. Die Richter verurteilten den Asta zu Zahlung von 500 Mark.

Die Prozeßlawine gegen die Studenten müsse eine Ende haben, ärgerte sich unterdessen auch Nordrhein-Westfalens (NRW) Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD). Studenten müßten üben, „ihre politische Bildung ,auszubilden‘“, schrieb sie unterstützend an den Münsteraner Asta. Inzwischen hat sie den Rechtsstreit selbst am Hals. Die CDU klagt gegen ihr neues Hochschulgesetz, in dem ein politisches Mandat der Studierendenschaft verankert ist.

1979 fällte das Bundesverwaltungsgericht das bis heute maßgebliche Urteil für das politische Mandat: Studierende stellten innerhalb der Uni eine Zwangskörperschaft dar; mit der Einschreibung würden sie unfreiwillig Mitglied der sogenannten verfaßten StudentInnenschaft. Deren Organe, urteilten die Richter, besonders der Allgemeine Studentenausschuß, dürften sich nur im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabe betätigen. Dazu zählt das Hochschulrahmengesetz (HRG) aber nicht ausdrücklich politische Äußerungen. Der Studenten-Dachverband fzs will das ändern. „Das allgemeinpolitische Mandat muß endlich ins HRG“, fordert fzs-Sprecher Martin Hellwig. Im aktuellen HRG-Entwurf ist das Mandat nicht enthalten.

So sehen sich die Studentenvertretungen der Republik weiter von „gezieltem politischen Vorgehen“ bedroht. „Die Kläger kommen entweder vom RCDS oder der Jungen Union“, berichtet Elène Misbach von der FU. Nicht anders ist es in Potsdam, Gießen oder Münster. In Marburg klagten Mitglieder der „Republikaner“, die mit zwei Sitzen im StudentInnenparlament vertreten sind.

Die Studentenvertretungen wollen sich nun wehren. Bei einem Kongreß in Potsdam (17. bis 19. April) wollen sie die Folgen der Klagewelle diskutieren. „Die Trennung von allgemeiner und Hochschulpolitik ist künstlich“, sagt Organisatorin Sandra Brunner von der Uni Postdam, „denn Hochschulen sind keine im gesellschaftlichen Niemandsland liegenden Provinzen.“

www.uni-potsdam.de/u/stura/pm/ menu.html

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