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Seestädter wählerisch bei EU-Geldern

■ Bremerhaven plant mit bereits zugesagten EU-Geldern ein Frauenförderungs- und Medienprojekt / CDU und AfB wollen jetzt alles anders machen / Guter Ruf in Brüssel in Gefahr

Die Bremerhavener Stadtverordneten sorgen für Aufruhr. Denn deren Koalitionsmehrheit aus CDU und AfB-PolitikerInnen will das – noch unter SPD-Ägide geplante – „Dienstleistungszentrum Grünhöfe“, das als innovatives Stadtteilzentrum im gleichnamigen Problemstadtteil mit Hilfe von Brüsseler Millionen gebaut werden soll, so nicht haben. Die Unterstützung, die Brüssel für das neue Dienstleistungszentrum im Stadtteil mit 30 Prozent Arbeitslosigkeit bewilligt hat, steht jetzt auf dem Spiel.

Unter den sechs geplanten Dienstleistungsprojekten, die den Neubau spätestens im Juli 2000 beziehen wollen, sind besonders die Existenzgründungsberatung für Frauen und ein Multi-Media-Zentrum, in dem auch ausgebildet werden soll, politisch umstritten. Gefragt wird seitens der CDU beispielsweise, ob „den Frauen Extrawürste gebraten werden sollen“, zumal die Wirtschaftsprüfer von McKinsey eben noch eine Zentralisierung und Straffung der Existenzgründungsberatung vorgeschlagen haben. Außerdem komme es im Stadtteil Grünhöfe vor allem auf Arbeitsvermittlung – auch für Männer – an und weniger darauf, Existenzgründerinnen anzuschieben, glauben die Kritiker. Auch das Medienzentrum, wie es bei der EU beantragt wurde, könnten sie sich besser in Berlin vorstellen als in der Seestadt. Jetzt fürchten MitarbeiterInnen der betroffenen Projekte und des Bremerhavener Stadtplanungsamtes sowie der Bremer Wirtschaftsbehörde, daß die Politiker mit ihrem Hin und Her den Ruf der Stadt in Brüssel ruinieren – und zwei Jahre Planungsarbeit einfach in den Sand setzen.

Je mehr vom ursprünglichen Konzept abgewichen werde, desto fraglicher sei, ob die vier Millionen Mark aus Brüssel überhaupt kommen, sagt auch der zuständige EU-Referent in der Bremer Wirt-schaftsbehörde, Sven Wiebe. Immerhin sei das Dienstleistungszentrum unter 486 europaweiten Anträgen als besonders innovativ und förderungswürdig ausgewählt worden. Auch habe die Bremer Wirtschaftsbehörde schon zugesagt, den Neubau mit weiteren vier Millionen Mark aus dem Wirtschaftspolitischen Aktionsprogramm zu fördern und der Bremer Arbeitssenator habe ebenfalls signalisiert, die Projekte, die als Neuzugänge den Stadtteil aufwerten sollen, mit 'zig Millionen längerfristig zu fördern. Ein Investor will das Zentrum zudem mit einem „privaten Bauteil“ergänzen, in den Ärzte, Apotheken und Läden einziehen.

In der Bremer Wirtschaftsbehörde setzt man jetzt alle Hoffnungen auf einen Gesprächstermin morgen – um „das Tempo des Galopps in den Abgrund“zu vermindern, wie es heißt. Denn die Bremer Wirtschaftsbehörde hat mit Know-how und Kontakten geholfen, das Geld für das kommunale Dienstleis-tungszentrum mit Migrantenberatung, Kulturteil und Übungsfirma, Frauen- und Medienberatung zu beantragen. Hier ist man weit davon entfernt, das Gezerre um eine Neuplanung des Zentrums als Provinzposse abzutun. Man vermutet vielmehr, daß CDU- und AfB-Abgeordnete einfach nicht gut informiert waren, als sie Änderungen an der Frauenberatung und am Medienprojekt beschlossen. „Es handelt sich hier um eine konkrete Projektförderung“, sagt Wiebe. Ihm erscheint fraglich, ob der Wegfall des Medienschwerpunkts dort einzusehen sei. An einem bewilligten Konzept könne man nicht nachträglich beliebig manipulieren – zumal das Brüsseler „Ja“seit Monaten vorliegt. ede

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