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Von Woronesch in die Wärme Badisch Sibiriens

Leben in der Bundesliga (XII): In Merchingen ist Bundesligistin Klinge Seckach Dorfgespräch – speziell, seit elf Russinnen mitkicken  ■ Von Rainer Hennies

Merchingen ist eine richtig beschauliche Ortschaft im Badischen. So beschaulich ist es da, daß die Aufregung groß war, als die Russinnen ankamen. Elf sind es mittlerweile, um genau zu sein, allesamt Fußballerinnen – plus ein Trainer. Alle da, um dem SC Klinge Seckach im Kampf um den Klassenerhalt zu helfen. Vier US- Amerikanerinnen sowie eine Nationalspielerin aus der Türkei und eine aus Kroatien sind schon länger da. In der Frauen-Bundesliga gibt es keine Ausländerinnenbeschränkung.

Fußball kennt eh jeder. Männerfußball. Teil XII der taz-Serie untersucht heute: Wie geht es in der Frauenfußball-Bundesliga zu?

Daß die Fußballerinnen vom Meister Energia Woronesch nahezu komplett in jener Region sind, die im Volksmund „Badisch Sibirien“ genannt wird, mag kurios scheinen. Trainer Ivan Saenko möchte eben unbedingt ab Mai den russischen Titel verteidigen. In Woronesch ist der Winter aber noch härter – und der Frühling noch längst nicht soweit wie in Merchingen. Sponsoren wie die russische Telekom und namhafte Dienstleister im Energiebereich ermöglichen deshalb das permanente Trainingslager.

Das freut Seckachs Trainerinnenduo Ulrike Ballweg und Christine Fütterer, die für ihren Kader so Verstärkung bekamen, und dies nahezu kostenfrei, bloß gegen Unterkunft und Logis. Sechs der acht Russinnen gehören immerhin zum Nationalteam, Nadeshda Bossikova ist nationale Torschützinkönigin.

Molly Nakayama, eine der vier US- Frauen, hat festgestellt, daß es bei den Neuen offenbar straff organisiert zugehe. Der russische Trainer, sagt sie, sei ziemlich laut. Trainerin Ballweg gibt sich da diplomatischer: „Die Russinnen trainieren täglich und sind dabei sehr engagiert.“ Gemeinsam wird dreimal in der Woche geübt. Zum Verständnis ist ein Dolmetscher dabei.

In Merchingen ist das Frauenteam Dorfgespräch. Grund: Es gibt keinen Männerfußball. Der ortsansässige TSV hat keine Teams, nur einen schmucken Sportplatz, den die Seckacherinnen nutzen dürfen. Wer sich für Fußball interessiert, wird so zwangsläufig zum Frauenfußballfan. Rund 200 kommen sonntags. Das ist ein Drittel unter dem Bundesliga-Schnitt, der bei knapp 300 pro Spiel liegt. Die meisten Zuschauer (über 500 pro Spiel) hat der Tabellenvierte FC Rumeln aus Duisburg.

Während kurioserweise die Reserve und die Mädchen des SC als Herbstmeisterinnen aus dem Winter starteten, „klebt uns das Pech geradezu an den Stiefeln. Wir werden einfach von nichts verschont“, klagt Nicole Weber. Bei zwei Eigentoren weiß die Kapitänin, wovon sie spricht. Mit dem 3:0 über den Hamburger SV hat man neulich den letzten Tabellenplatz auf Kosten der Hanseatinnen verlassen. Zu Nichtabstiegsplatz 10 sind es aber immer noch acht Punkte. Klinges junges Team mit mehreren U-18-Nationalspielerinnen hat eher mittelfristig Perspektive.

Dennoch kämpfen sie weiter wacker gegen den Verlust der mangels medialer Öffentlichkeit oft als „Nichtantrittsprämie“ bezeichneten 35.000 Mark Fernsehgeld, die der DFB paritätisch aus seinen Einnahmen an seine zwölf Bundesligistinnen überweist. Gut haben es Rumeln und der FSV Frankfurt, die sich am Sonntag für das DFB- Pokalfinale qualifiziert haben. Das bringt Geld und Öffentlichkeit. Für den Rest aber sind die 35.000 überlebenswichtig, sie einzutauschen gegen das Absaufen ins nicht einheitlich geregelte provinzielle Niemandsland einer regionalen Spielklasse wäre bitter. „Alle hängen sich rein. Niemand schont sich“, lobt Kapitänin Weber. „Wir wissen, daß wir das Zeug haben, den Abstieg noch zu verhindern.“

Die Hingabe, mit der Seckach um den Erhalt in der Liga ringt, bedeutet allerdings nicht, daß es mit dieser Liga wunderbar stünde. Der Sport ist allerdings besser geworden, seit der DFB zu Saisonbeginn die Frauen-Bundesliga mit einer Reform aufgemöbelt hat. Aus zwei Zehnerstaffeln wurde eine Zwölferliga. Molly Nakayama, die nach ihrer US-Zeit zwei Jahre Profi in Japan war, sagt, die Bundesligaspiele seien im Niveau mit den Spitzenspielen an den US- Colleges zu vergleichen, seien aber „aggressiver und schneller“. In Japan hingegen „sei die Technik stärker.“ Allerdings „hatten wir in Portland und Tokio wesentlich mehr, meist zwischen 1.000 und 5.000 Zuschauer.“

Hinter dem Sport sorgt aber weiter eine eigentümliche Mischung von Beliebigkeit und Schwäche in den Führungsstrukturen für Chaos und Frust und produziert Imageprobleme ohne Ende. Keiner für alle, jeder für sich selbst und alle nach Gutdünken, am liebsten aber gar nicht. Die Präsentation der Liga als hochwertiges Produkt ist abschreckend.

Einmal sollte eine Schiedsrichterin kommen, die wegen einer Länderspielleitung gar nicht konnte. Beim alphabetisch geordneten Infoheft zur Liga merkte der DFB nicht, daß er Seckach mit dem hessischen Säckach verwechselt hatte. So geht das dauernd.

US-Spielerin Christina Harsaghy spitzt zu: Es mangele an „stolzer Identifikation“. Die Leute in Deutschland, sagt sie, „scheinen sich überhaupt nicht für ihr Spitzenprodukt zu interessieren“. Das stimmt – obgleich der beim DFB zuständige Abteilungsleiter Willi Hink die reformierte Liga schon jetzt als „Quantensprung“ bezeichnet.

Dabei boomt der Frauenfußball und ist mit fast 800.000 weiblichen Mitgliedern die größte Teamsportart im Lande. Von rund 5.500 Teams kamen etwa 900 im letzten Jahr dazu. Bei den Mädchenteams ist die Zahl von 1.000 (1990) auf 2.600 gestiegen. Die Nationalelf gilt mit vier EM-Titeln als Aushängeschild. Aber, ehrlich: Wie heißt die deutsche Meisterin? – Eben. Vom Trikottausch aber flachsen viele und noch immer.

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