: Wider die Extremisten der Mitte
Der Journalist Jan Roß räumt in seinem Buch „Die neuen Staatsfeinde“ mit der neoliberalen Bedrohung, mit den Westerwelles, Schröders und Henkels auf und gibt damit der Linken eine Anregung, mit ihrem eigenen Anti-Etatismus kritisch ins Gericht zu gehen ■ Von Robert Misik
Erstens: Jan Roß ist ein Konservativer. Zweitens: Er ist auch ein Freund des starken Staates. Vor ein paar Jahren wohl noch hätten diese beiden Hinweise genügt, den Autor – hier jedenfalls – endgültig zu erledigen. Weitere Ausführungen wären nicht notwendig gewesen.
Doch Jan Roß ist nicht nur ein Konservativer der eigenen (man wäre froh, könnte man sagen: der neuen) Art; ein Plädoyer für den „Staat“ wird heute, dies kommt hinzu, in einem anderen Kontext formuliert als in den achtziger Jahren oder gar den siebziger Jahren, als in Bonn noch viel von Staatsräson die Rede war und die Konterfeis der Staatsfeinde die Fahndungsplakate zierten.
Jan Roß, 33, im Hauptberuf Feuilletonredakteur der Berliner Zeitung, die er im Vorjahr, von der FAZ kommend, verstärkte, jagt Staatsfeinde ganz anderer Art. Seine „neuen Staatsfeinde“ sind die „Vulgärliberalen“ aller Schattierungen: Guido Westerwelle etwa, dem der Markt alles, der Staat nichts mehr gilt; oder auch Gerhard Schröder, der sozialdemokratische Hohepriester des „Primats der Ökonomie“.
Jan Roß hat gut beobachtet, und er versteht seine Beobachtungen scharfzüngig zu formulieren. Focus, das erfolgreiche Bildermagazin aus München, etwa gilt ihm als Zentralorgan des Vulgärliberalismus, die „Focus-Kultur“ als Inbegriff der Staatsvergessenheit. Diese neue Staatskritik sieht vis- à-vis dem Staat nicht den Bürger, sondern „König Kunde“. Der Liberalismus dieses Milieus ist keiner für Citoyens, sondern, wie es in einer der Roßschen Wendungen heißt, „für Schnäppchenjäger“. In diesen selbst vom Sozialstaat gemästeten bundesrepublikanischen Tüchtigkeitsnischen schwillt die Sozialstaatskritik am lautesten an. Es ist dies eine populistische Abart des Liberalismus, die, wie Roß es sieht, nie ohne „Beigeschmack von Mißgunst“ zu haben ist.
So weit brächte Roß' Kritik bloß mit konservativer Nomenklatur zur Sprache, was linke Neoliberalismus-Kritik mit anderen Worten schon seit einigen Jahren betont – wäre nicht der Fluchtpunkt der Roßschen Kritik eben der starke Staat und würde nicht, aus solcher Perspektive naheliegend, auch die Linke ihr Fett abkriegen.
Vom Kollektivismus vollends genesen, geraten nicht wenige Linke mit ihrem antistaatlichen Gestus, der einstmals noch dem Obrigkeitsstaat galt, nun in Frontstellung zum Sozial- und Leistungsstaat und finden sich plötzlich – welch wundersame Schicksalswende! – auf seiten von Henkel, Hundt und Deutscher Bank. Der Staat und seine Diener, die vielen Väter des Reformstaus, geraten da von allen Seiten ins Visier. „Die Beamten“, notiert Roß, „sind die bestgehaßte Berufs- und Bevölkerungsgruppe.“ Eine Linke, die in diesem Chor mitblökt, macht sich freilich, so Roß' implizites Urteil, zum nützlichen Idioten der Propagandisten des Markt- und Rentabilitätsdiktats. „Wer eine Gegenmacht zur totalen Ökonomisierung der Gesellschaft sucht“, hält Roß entgegen, „muß sich dem Staat zuwenden.“
Dies ist die zentrale These des Roßschen Pamphlets und, salopp gesagt, das ist's dann auch. Das wird auf 163 Seiten wiederholt. Mit weitem Schwung holt der Autor aus, formuliert Sätze wuchtig wie eine Axt, in der Hoffnung, es treffe die Liberalen schmerzhaft. Die Hoffnung mag gar nicht so trügerisch sein, doch hätte die bemerkenswerte Bewegung, die da einen neokonservativen Etatisten in die Nachbarschaft linker Kapitalismuskritik bringt, eine gewisse, auch theoretische, Reflexion durchaus vertragen.
Gibt es, dies wäre die Frage, die aufzuwerfen sich lohnen würde, einen Punkt, auf den sich rechte „Staatsmacher“ und linke Marktkritik aus verschiedenen Richtungen zubewegen? Aus historischer Perspektive wäre dies zumindest bemerkenswert: Denn Staatsemphase ist Linken – egal welcher Couleur, welcher Tradition – nicht eben in die Wiege gelegt. Marx selbst hat eine Theorie des Staates nirgends systematisch entwickelt, Friedrich Engels ein paar Andeutungen gegeben, darunter die traditionsstiftende vom bürgerlichen Staat als „ideellem Gesamtkapitalisten“. Darin klang zwar eine gewisse Vermittlung zwischen dem atomisierten Kapitalinteresse und dem des „Staates des Kapitals“ an, doch lag aller Nachdruck darauf, daß die Aufrechterhaltung der bürgerlichen Ordnung wesentliche Aufgabe dieses Staates ist. Bei dem Staatsverständnis, das Lenin in seiner Schrift „Staat und Revolution“ offenbarte, lag aller Ton auf der Dimension des Repressionsapparats, des Zwangsstaats. Daß schon der bürgerliche Staat zudem eine andere Dimension hat, nämlich daß er auch in der Marktökonomie das große Jenseits des marktwirtschaftlichen Rentabilitätsprinzips markiert, war von Marx zwar schon im „Kapital“ in die Wendung gekleidet, die institutionellen Grenzen, die dieser dem Markt zöge, seien „modifizierende Umstände“. Diese modifizierenden Umstände, so sollte später Theodor W. Adorno vermerken, stünden „exterritorial zum System der politischen Ökonomie“, jedoch, so sein Befund, „zentral in der Geschichte der Herrschaft“. Auch hier dieser Grundton einer marxistischen Staatskritik, der der Staat allenfalls ein Herrschaftsinstrument war, wenn nicht allein zum Zwecke des Zwangs, dann allenfalls noch als Apparat zur Kalmierung von Widerstandspotential. Von dieser Fixierung hat sich kaum eine Überlegung innerhalb der linken Tradition befreit.
Antonio Gramscis berühmte Formel vom Staat – „Hegemonie, gepanzert mit Zwang“ – bewegte sich letztlich ebenso innerhalb dieses Horizonts wie Louis Althussers Gedanken über repressive und ideologische Staatsapparate. Auch der angewandte Etatismus der Sozialdemokraten war vor allem einer der Praxis und theoretisch nie wirklich fundiert, ganz zu schweigen von dem der Kommunisten, die wochentags ihre Staatsapparate verfeinerten (was Grobheiten nicht ausschloß) und an den Feiertagen das „Absterben des Staates“ prophezeiten.
Heute freilich, wo der Frontalangriff auf den Staat von den Agenten des Marktprinzips ausgeht, stehen viele Linke ratlos da. Im Zeichen des Neoliberalismus propagiert das Kapital selbst eine freie, reine, von „modifizierenden Umständen“ nicht weiter gestörte Marktwirtschaft. Es täte der Linken gut, und dafür könnte Roß ein Anstoß sein, ihr Verhältnis zum Staat aus dieser Perspektive prinzipiell zu durchdenken. Und es wäre auch lohnend zu realisieren, daß es mit einer staatsbewußten Rechten hier unter Umständen mehr Berührungspunkte gibt als mit einem Liberalismus, dessen Freiheitsbegriff allenfalls Abfallprodukt des Freihandels ist.
Daß eine Wiedergewinnung politischer Spielräume (man muß ja nicht gleich emphatisch von der Wiedererfindung des Politischen reden) um den Staat nicht herumkommt, sollte auf der Hand liegen. Jan Roß' Buch ist, auch da, wo es zu kurz greift, ein Beitrag zu der notwendigen Debatte, der die Lektüre lohnt. Um so ärgerlicher, daß er am Ende seines Essays einer regelrechten „deutschen Krankheit“ erliegt – dem ewigen Zwang nämlich, der Kritik Verbesserungsvorschläge folgen zu lassen. Möglich, daß dies die essayistische Lehre von Weimar ist, eine Art Zwang zum konstruktiven Mißtrauensvotum in der politischen Literatur.
Roß Vorschlag ist es nun, eine neue Staatlichkeit aus der Mitte des Volkes wachsen zu lassen. Volksinitiativen und -abstimmungen sind für ihn die Medizin, emphatisch spricht er von der „Wiederentdeckung des Politischen durch das Plebiszit“. Das nimmt sich, mit Verlaub, vor allem im Kontrast zur Verve seiner Liberalismuskritik doch gar brav und bieder und leider auch ein bißchen lächerlich aus.
Jan Roß: „Die neuen Staatsfeinde. Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co.?“ Alexander Fest Verlag, 165 Seiten, 36 DM
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