: Düsteres Wolkenkuckucksheim
■ Exzentrische Architekten und verlorene Zivilisationen bei der „Film + Arc“im Metropolis
Mensch und Architektur – zum dritten Mal präsentieren das Metropolis und das Lichtmesz in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Architektenkammer die Grazer Architektur-Biennale Film + Arc in Hamburg. Über sechs Tage dominieren differenzierte und streckenweise sehr intime Ansichten und legen den Zusammenhang zwischen Menschsein und Baukunst offen.
Was in Österreich als interdisziplinäres Medienspektakel angelegt wurde, konzentriert sich in Hamburg auch dieses Jahr wieder auf die filmischen Beiträge. Der Diskurs wird auf die Rezeption verlagert. Die Genres sind so unterschiedlich wie die Architektur selbst und reichen von erzählerischen (Architekten-)Porträts über dokumentarisch angelegte Filmnovellen bis zu kurzen Demontagen des Blicks auf den Raum. Dem japanischen Videofilmer Yoshida Nakanishi etwa reichte ein bloßer Blick von einem Aussichtsplatz auf seinen Lieblingspark als Inspiration für einen gerade mal dreieinhalbminütigen schwindelerregenden Bilderclash namens Roundscape. Wesentlich gediegener beschreibt eine britische Dokumentation aus dem Jahr 1996 die globalisierende Auseinandersetzung des Architekten Carlo Scarpa mit dem baulichen Erbe seiner Heimatstadt Venedig. Vergangenheit wird bei ihm zur Basis weitreichender Verzahnungen von internationalen Baustilen.
Sozialkritik kommt aus einem der Brennpunkte westlicher Urbanität: New York. Seinen 97er-Film NY – The Lost Generation läßt Dylan McNeil science-fiction-like dort beginnen, wo andere vom Ende sprechen würden. Die bekannte Welt ist zerstört, die wenigen Überlebenden erbauen eine neue, in sich völlig synthetische Wolkenstadt, in der Vertrautes verstörende Dimensionen annimmt. Tattoos werden zur tödlichen Hautkrankheit, und der amerikanischste aller Ausdrücke, das Wort „fuck“, wird nach dem Prinzip der Schlumpf-Sprache sowohl zum Verb, Subjekt und Objekt erklärt. Am Ende dieser Sinn-Verdrehungen steht der bedeutungsvolle Umkehrschluß von den fremden auf die derzeit realen Verhältnisse im Großstadt-Moloch selbst.
Soviel großangelegtes Zeugs scheint nicht die Sache von Philip Johnson zu sein. Die Architektur-Koryphäe hat sich über die letzten 40 Jahre in seiner eigenen idyllischen Parklandschaft ein Refugium von funktionalen wie ästhetischen Bauwerken zusammengebaut, das einen an den Elfenbeinturm des entrückten Schöngeistes denken läßt. Regisseurin Barbara Wolf skizziert Johnson in ihrem Diary Of An Eccentric Architect entlang sehr unprätentiöser Bilder als einen Architekten, der sich selbst sein liebster Bauherr ist und versucht hat, sein eigenes Arkadien in einen künstlerischen Kontext zu stellen. Zusammen mit den Künstlern Frank Stella, David Whitney und Rem Koolhaas erklärt der große alte Mann auf amüsante Weise den Zusammenhang zwischen Privatsphäre und Transparenz. Daß sein „Glasshouse“aus dem Jahr 1949 Gästen vor allem nachts wenig Intimität böte, sei für ihn kein Grund, am Konzept zu zweifeln, sondern einer, um die Gäste mit dem letzten Zug nach Hause zu schicken.
Oliver Rohlf
Heute abend: Eröffnung mit Gästen und den Architekturfilmen „Roundscape“, „NY, The Lost Civilization“, „Carlo Scarpa“; 19.30 Uhr, Metropolis. Über die restlichen Termine der Veranstaltung, die noch bis Montag, dem 6. April gehen wird, informiert Sie ein an der Kinokasse des Metropolis ausliegendes Programm.
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