Kommunisten in der Ukraine stärkste Kraft

Die Sieger der Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag wollen die Regierung bilden und die Befugnisse des Präsidenten beschneiden. Auch die unabhängigen Kandidaten sind sehr erfolgreich  ■ Aus Kiew Barbara Oertel

„Das Großväterchen Lenin ist tot, aber seine Sache lebt. Besser wäre es umgekehrt“, titelte gestern die Kiewer Tageszeitung Kiewskie Wedomosti. Und das Blatt Segodnija fragte spöttisch: „Kommt jetzt nach dem Anstehen um Stimmzettel das Anstehen um Wurst?“ Gestern war klar, was Experten und Meinungsumfragen schon seit Wochen prognostiziert hatten: Sieger bei den ukrainischen Parlamentswahlen vom vergangenen Wochenende sind die Kommunisten (KPU). Letzten vorläufigen Ergebnissen zufolge erreichten sie 25,8 Prozent der Stimmen.

Außer der KPU werden noch sieben weitere Parteien im nächsten Parlament, der Werchowna Rada, vertreten sein: Die Nationale Bewegung Ruch (8,7 Prozent), die Partei der Grünen (5,36), die Vereinigte Sozialdemokratische Partei, die dem Präsidenten nahestehende Demokratische Volkspartei (NDP, 4,94), die Agrarpartei, die Mitte-rechts-Partei Hromada und der Block aus Sozialisten und Bauernpartei. Bis gestern nachmittag lagen noch nicht alle Ergebnisse vor.

Von den 225 Mandaten, die per Direktwahl in Wahlkreisen vergeben wurden, entfallen 114 auf parteilose Kandidaten, darunter auch unabhängige Kommunisten, 37 auf die KPU, 13 auf die NDP, zehn auf die Agrarpartei und acht Sitze auf Ruch.

Internationale Organisationen, die mit mehreren tausend Beobachtern präsent waren, registrierten keine größeren Verstöße gegen das Wahlgesetz. Cerry Davis, Chef der englischen Abordnung und Vizepräsident der parlamentarischen Versammlung des Europarates, kritisierte das Verbot zweier oppositioneller Tageszeitungen. Auch die Tatsache, daß die Wähler in vielen Wahllokalen gruppenweise in Wahlkabinen verschwunden seien, entspräche nicht demokratischen Standards.

Präsident Leonid Kutschma hielt sich in einer ersten Stellungnahme bedeckt. „Das neue Parlament wird nicht die Meinung aller Ukrainer widerspiegeln. Das gemischte Wahlsystem bringt dem Land nichts Gutes“, sagt Kutschma. Eine Umbildung der Regierung schloß der Staatschef nicht aus, bemühte sich aber, deren Bedeutung herunterzuspielen. „Solche Umbildungen sind von Zeit zu Zeit unerläßlich, unabhängig von Wahlen.“

Das sehen die Kommunisten, die die Zusammenarbeit mit Rußland und Weißrußland vertiefen wollen, anders. KPU-Vorsitzender Petr Simenenko meldete bereits seine Ansprüche an. „Wenn wir die Mehrheit haben, werden wir auch die politische Verantwortung für die Situation im Land übernehmen. Dabei werden wir mit jeder politischen Kraft zusammenarbeiten, mit der unsere Interessen in Einklang stehen.“ Zumindest, was eine Verfassungsänderung im Hinblick auf die Beschneidung der Vollmachten des Präsidenten angeht, wissen sich die Kommunisten mit den Sozialisten und der Mitte- rechts-Partei Hromada einig. Daher könnte es jetzt für Kutschma eng werden.

Bereits vor den Wahlen hatten die Kommunisten und Hromada angekündigt, gegen den Präsidenten ein Impeachement-Verfahren wegen Staatsverrat einleiten zu wollen. Auch jetzt ließ Simenenko keinen Zweifel an den Plänen seiner Partei: „Wir werden vor allem dafür kämpfen, daß der Einfluß des Präsidenten auf die Exekutivmacht begrenzt wird, und überhaupt sind wir gegen die Institution des Präsidentenamtes.“

Auch wenn der Streit um politische Grundsatzfragen den Schulterschluß zwischen ganz verschiedenen Gruppierungen möglich zu machen scheint, stehen sich die gleichen Parteien in Wirtschaftsfragen gänzlich unversöhnlich gegenüber. Deshalb werden grundlegende Weichenstellungen wie die Einführung von Privateigentum an Grund und Boden, die Privatisierung großer Firmen und Steuersenkungen maßgeblich von den Parteien der „dritten Kraft“ wie den Sozialdemokraten, Hromada und den Grünen abhängen.

Rätsel für viele Beobachter geben die Grünen auf, die bisher nicht im Parlament vertreten waren. Sie halten sich bis jetzt auffallend zurück. Was einen Kommentator von Sejodnija zu der Feststellung veranlaßte: „Bis jetzt haben die Grünen ihre politischen Präferenzen noch nicht bekanntgegeben. Eins jedoch ist klar: Rot werden die Grünen nicht.“