Wann kippt die Schanze?

Hinter der Flora wird gedrückt. FixStern öffnet nur noch 16 Stunden die Woche. Elternprotest gegen Spritzen in Sandkästen  ■ Von Silke Mertins

Im Schanzenviertel gestern morgen um 11 Uhr: Am Eingang zum gerade mit Rutsche und Weidengeflechten verschönerten Florapark wechseln Heroin und Geld den Besitzer. Auf dem Spielplatz buddeln zwei Dutzend Kinder im Sand. Unter der Holzterrasse an der Rückseite der Roten Flora ist eine Gruppe Junkies versammelt. Einer hat seine Schuhe ausgezogen und sucht eine „gute“Ader am Fuß. Ein anderer schiebt eine Spritze in den Arm.

20 Meter weiter im FixStern verkündet Geschäftsführer Norbert Dworsky, daß die einzige Einrichtung dieser Art im Schanzenviertel nun wieder in Betrieb ist. Vor eineinhalb Wochen war sie wegen Überlastung geschlossen worden. Die Öffnungszeiten, erklärt Dworsky, müßten allerdings von 37 auf 16 Stunden vermindert werden. „Anders ist die Situation nicht zu bewältigen.“Die Fenster wurden mit einem Splitterschutz versehen, die Eingangstür wird verstärkt, um möglichen Aggressionen von Junkies zu begegnen.

Elisabeth Lingner, zuständige Amtsleiterin in der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), habe der Reduzierung zugestimmt. Bisher hatte das zu Lingners Bereich gehörende Drogenreferat stets darauf bestanden, die Öffnungszeiten auszuweiten. Noch im vergangenen Jahr war der Stellenschlüssel erhöht worden.

Der Drogenbeauftragte Horst Bossong bestätigte erst am vergangenen Wochenende, daß er den Bedarf für einen zweiten Fixerraum im Viertel durchaus sehe. Das von Rot-grün zur Verfügung gestellte Geld reiche aber nicht. Die Behörde selbst hält sich bedeckt. Der eigentliche Druckraum im FixStern, dessen Plätze ebenfalls von sechs auf vier verkleinert werden, ist ein erbärmliches Hinterzimmer. An einem Metalltisch stehen vier Stühle; eine Isomatte dient als Unterlage für Reanimationen. Dworsky fordert zusätzliche Mittel für Umbauarbeiten. Zur Zeit erhält der FixStern 850.000 Mark jährlich. Gestern verlangte auch die Gewerkschaft ÖTV, daß der Etat für Einrichtungen im Drogenbereich nicht gekürzt wird.

Das Schanzenviertel braucht sogar drei Fixerräume, erklärte Rainer Schmidt, Vorstandsmitglied von FixStern-Träger „freiraum“. Der von der Flora geduldete Open-Air-Druckraum mobilisiere die Polizei. Und wie die Floristen darauf reagieren, sei bekannt. „Es weiß derzeit kein Mensch, was sich hier zusammenbraut“, warnt Schmidt. Heute findet in der Flora eine Pressekonferenz zum Thema Drogen und Polizeiaktionen statt.

Derweil wächst angesichts der Verdrängung der Drogenszene vom Schanzenbahnhof zum Schulterblatt die Unruhe in der Bevölkerung. Zusätzlich zur Initiative „Erste Hilfe Sternschanze“haben sich weitere Eltern zusammengetan. „Drei Tage nachdem der Fixstern geschlossen hatte, mußte ich erst mal Spritzen aus dem Sandkasten rausziehen, bevor meine kleine Tochter darin spielen konnte“, so Schanzenviertel-Bewohnerin Ina Hose. 90 Unterschriften hat sie zusammen mit anderen Eltern für einen Brief an Bürgermeister Ortwin Runde und die Forderung eines zweiten Druckraums gesammelt.

Runde hatte bereits vergangene Woche deutlich gemacht, daß er hinter dem Konzept dezentraler Fixerräume stehe und von „sozialromantischen Vorstellungen“vom Junkie nur als Opfer „einen Dreck“halte. Schmidt rügte gestern: „Runde ist da etwas entglitten.“