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Eine Aufgabe, die alle herausfordert

In Leipzig wird am Sonntag ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Sieben Kandidaten sind im Rennen. Die SPD setzt auf einen abermaligen Sieg – der sie bis nach Bonn tragen soll. Bei den Meinungsumfragen liegt die Partei vorn  ■ Von Toralf Staud

Leipzig (taz) – „Am 5. April schaut die Republik auf Leipzig“, prophezeite der SPD-Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters, Wolfgang Tiefensee, in seiner Vorstellungsrede auf dem Nominierungsparteitag im Dezember. Dementsprechend sieht auch der Wahlkampf der Sozialdemokraten aus: Vergangene Woche kam Parteichef Oskar Lafontaine, heute soll Kanzlerkandidat Gerhard Schröder beim Stimmenfang helfen. Tiefensee ist mit Plakaten und Flugblättern präsenter als alle anderen Kandidaten. Für die Materialschlacht gibt die SPD 220.000 Mark aus. Knapp die Hälfte des Geldes kommt aus Bonn.

Die Wahl wurde nötig, weil Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) aus Altersgründen den Posten vorzeitig abgibt. Er amtierte seit 1990. Als ehemaliger Oberstadtdirektor von Hannover brachte er damals die nötige Erfahrung zum Aufbau der Verwaltung der Halbmillionenstadt mit. Im Umgang mit den Leipzigern wirkte der Niedersachse immer etwas steif, doch wurde er 1994 mit sattem Vorsprung vor den Konkurrenten wiedergewählt.

Sein Nachfolger wird kein leichtes Amt übernehmen: Die Leipziger Industrie ist nach 1989 zusammengebrochen, von einst 120.000 Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe gibt es jetzt noch rund 11.000. Zwar gilt die Messestadt heute als ostdeutsches Banken- und Dienstleistungszentrum, doch konnte dies den Niedergang der traditionellen Industrie nicht wettmachen. Die Arbeitslosenquote in der Stadt liegt derzeit bei knapp 19 Prozent.

Sieben Kandidaten stellen sich am Sonntag den Bürgern zur Wahl. Neben den großen Parteien tritt das Neue Forum mit einer Stadtratsabgeordneten an, die Initiative „Leipziger Bürger für Leipzig“ schickt einen Musikschullehrer ins Rennen. Ursprünglich hatte auch die rechtsextreme NPD geplant, einen Kandidaten zu nominieren – ihren Ex-Vorsitzenden Günter Deckert.

Klarer Favorit für die Wahl ist Wolfgang Tiefensee. Der 43jährige Elektronikingenieur kam 1989 über die kirchliche Friedensbewegung und das Bündnis 90 zur Politik. Lehmann-Grube förderte ihn intensiv und baute ihn geschickt als Nachfolger auf: Tiefensee wurde Schulamtsleiter, dann Jugend- und Bildungsdezernent und schließlich Erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters. Erst vor drei Jahren trat er in die SPD ein.

Im Wahlkampf präsentiert sich Tiefensee als Ostler, der jetzt genug bürokratische Erfahrung gesammelt hat, um das Ruder in die Hand zu nehmen. Sein Slogan: „Wir Leipziger schaffen das.“ Erstes Kampagnenthema sind die Arbeitspltäze: Die Tätigkeit der städtischen Beschäftigungsgesellschaft verspricht Tiefensee fortzusetzen, Stadtverwaltung und Tochterunternehmen würden mehr Lehrstellen bereitstellen. Er werde ein eigenes Bürgerbüro einrichten und den Stadtteilbeiräten mehr Macht geben.

Die CDU hat mit Peter Kaminski ebenfalls einen Mann aus der Stadtregierung nominiert. Der 44jährige ist seit sieben Jahren Finanzdezernent unter Lehmann- Grube. Gegen die „Angst vor steigender Kriminalität“ verspricht er ein Engagement „für ein helles und sauberes Stadtbild“. Die Arbeit der städtischen Politessen kritisierte er als „Zupflasterung mit Knöllchen“, während des Wahlkampfes ging er auf Distanz zum umstrittenen Eisenbahntunnel durch die Innenstadt.

Der PDS-Kandidat Lothar Tippach – bei der letzten Wahl vor vier Jahren überholte er den CDU- Konkurrenten und kam mit 22 Prozent auf den zweiten Platz – nennt als sein Hauptziel „eine sozial gerechtere Stadt“: Mehr Zuschüsse für Sozial- und Kulturvereine, mehr Sportanlagen und „bezahlbare“ Wohnungen. Die Kampagne für ihren 61jährigen Stadtratsfraktionschef läß sich die PDS 230.000 Mark kosten.

Frischen Wind in den Wahlkampf brachte Werner Schulz von den Bündnisgrünen. Der parlamentarische Geschäftsführer im Bundestag kontrastierte mit Bonner Rhetorikkünsten und populistischen Tiraden die lokalen Kandidaten. Als Schulz antrat, klagte er über mangelnde Vorarbeit der örtlichen Grünen und strickte binnen kurzer Zeit sein Programm. Er attackiert Großprojekte wie den Eisenbahntunnel oder den Neubau des Museums der bildenden Künste, will personelle Konsequenzen bei der kränkelnden Messegesellschaft, und ist – wie die PDS auch – vehement gegen eine Teilprivatisierung der Stadtwerke. Schulz beteuert, daß er den OBM- Stuhl seiner Bonner Karriere vorziehen würde.

Nicht alle glauben das. Innerparteilich wird ihm vorgeworfen, durch die Kandidatur nur Punkte sammeln zu wollen für den Kampf um die sächsischen Bundestags-Listenplätze. Aussichtsreich ist nur der zweite Platz, doch für den bewirbt sich auch ein Kandidat aus Dresden. Schulz aber wird im Landesverband noch immer das Debakel der letzten Landtagswahl nachgetragen.

Die FDP schließlich hat den bisher politisch unbekannten Rechtsanwalt Bernhard Schebitz aufgestellt. Der 39jährige ist 1990 aus Hamburg nach Leipzig gekommen und verdient sein Geld vor allem mit der Abwicklung von pleitegegangenen Unternehmen. Im Wahlkampf präsentierte er sich als Aufräumer und prangerte die vermeintliche Geldverschwendung des Rathauses an. Bevor sie Schebitz nominierten, hatten die Leipziger Liberalen mal mit Jürgen Möllemann geliebäugelt, der aber winkte ab.

Eine repräsentative Umfrage der Leipziger Volkszeitung sah im Januar SPD-Mann Tiefensee mit 32 Prozent klar vorn, zehn Prozent der Befragten sprachen sich für Kaminski aus, neun Prozent für Tippach und sechs Prozent für Schulz. Egal ob Tiefensee oder Kaminski gewinnen, unter dem jeweils anderen werden beide nicht arbeiten. Für Tiefensee, so erzählt man sich in Leipzig, hat die SPD eine Stelle beim Städtetag organisiert. Und Kaminski soll einen Staatssekretärsposten unter Biedenkopf in Aussicht haben.

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